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„Die Deutschen haben genug Probleme“

Die Zufriedenheit von SpätaussiedlerInnen ist generationsspezifisch: Alte haben viel niedrigere Erwartungen und fühlen sich wohler. Junge hoffen auf Arbeit und sind deshalb unzufriedener. Studie vorgestellt  ■ Von Sabine am Orde

„Wir haben keine Probleme“, sagt Elli Kochan zum dritten Mal. Sie zieht ihr blaßgrünes Strickkleid glatt, ein Lächeln huscht über den rosa geschminkten Mund. Schnell erzählt sie von ihrer Tochter, die in Chemnitz promoviert und mit einem Deutschen befreundet ist. Von ihrem Sohn, der in der Schule und mit den Deutschen gut klarkomme. „Mit den Nachbarn haben wir auch keine Probleme“, sagt sie. „Ich passe manchmal auf ihre Kinder auf und bringe ihnen russische Spezialitäten.“

Am Tisch wird getuschelt. „Sie kann ja auch die Sprache“, sagt eine Frau in gebrochenem Deutsch, „und das können wir nicht.“ Zustimmendes Nicken am Tisch. Zwölf SpätaussiedlerInnen aus der ehemaligen Sowjetunion sitzen dort, neben kleinen Sträußen aus Stoffrosen liegen Deutschbücher. Zweimal wöchentlich treffen sich die 50- bis 75jährigen in der Caritas-Begegnungsstätte zum Deutschunterricht.

Elli Kochan arbeitet ehrenamtlich hier, denn einen Job findet auch sie in Berlin nicht. In Kasachstan hat die 49jährige als Sprachlehrerin und Dolmetscherin gearbeitet, in Berlin wird ihre Ausbildung nicht anerkannt. Ihr Mann, ein Maschinenbauingineur, steht vor demselben Problem. Doch beklagen will sie sich nicht: „Uns geht es gut hier“, sagt sie bescheiden.

Das finden auch ihre SchülerInnen. Mangelnde Sprachkenntnisse und fehlender Kontakt zu Deutschen seien zwar ein Problem, doch den Fehler suchen sie bei sich. „Wir lernen zu langsam“, sagt eine Rentnerin. Einhelliges Nicken am Tisch. „Die Deutschen haben selbst genug Probleme“, sagt eine andere, „Kontakte müssen wir herstellen.“

Die Alten scheinen wie aus Robby Finkes Untersuchung gesprungen zu sein. Im Auftrag des Bezirksamts Lichtenberg hat der Soziologe des Instituts für angewandte Demographie (Ifad), ein privates Forschungsunternehmen, gemeinsam mit KollegInnen 40 Lichtenberger Spätaussiedlerfamilien aus der ehemaligen Sowjetunion befragt. Das Ergebnis: Ältere SpätaussiedlerInnen fühlen sich integrierter und sind erheblich zufriedener mit ihrem Leben in Berlin als jüngere. Älter ist man nach Ifad-Definition ab 37.

„Die jüngeren Aussiedler kommen mit deutlich höheren Erwartungen nach Deutschland“, sagt Finke und sieht darin die Ursache für die unterschiedliche Wahrnehmung. Nach Ifad-Erkenntnissen hoffen die Jungen, daß sich in Deutschland ihre Arbeitssituation und ihre wirtschaftliche Lage verbessern. „Die Älteren geben ethnische und religiöse Gründe an, sie wollen als Deutsche unter Deutschen leben“, sagt Finke. „Ihre Erwartungen fallen also deutlich bescheidener aus.“ Generationsübergreifend sei nur der Wunsch nach Familienzusammenführung.

„Wer hohe Erwartungen hat, hat natürlich größere Chancen, enttäuscht zu werden“, sagt der Soziologe. Nur ein Drittel der unter 37jährigen sehen ihre Erwartungen erfüllt, bei den Älteren sind es drei Viertel. Die Folge laut Ifad-Institut: Unter den Jüngeren machen sich aufgrund von Kontaktschwierigkeiten, von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit allmählich Enttäuschung breit. Entsprechend häufiger fühlen sie sich heimatlos. Während die Älteren selten oder nie ein solches Gefühl beschleicht, ist es bei den Jüngeren „manchmal bis oft“.

An sozialen Unterschieden liegt das nach Ansicht der Ifad-Forscher nicht. „Die soziale Lage der Aussiedler ist noch recht homogen“, sagt Soziologe Finke. Einheitlich ist sie auf schlechtem Niveau. Mehr als die Hälfte der AussiedlerInnen lebt von der Sozialhilfe.

Wadim und Katja glauben nicht an generationsspezifische Unterschiede. Fast jeden Tag kommen sie in den Club 97, ein Treff für Aussiedlerjugendliche in Lichtenberg. Den hat die Caritas vor einem halben Jahr aufgemacht, um die Kids von der Straße zu holen. „Auf keinen Fall fühlt sich meine Mutter hier besser als ich“, sagt die 16jährige. „Meine Mutter hat hier doch keine Chance, weil ihr Deutsch so schlecht ist.“

„Meine Mutter sagt immer: Dort war ich jemand, und hier bin ich nichts“, wirft Wadim ein. Lässig steht der 16jährige neben dem Billardtisch, zieht an einer Zigarette. Erwartungen? „Ich will einen Schulabschluß und einen Ausbildungsplatz“, sagt Wadim, und Katja nickt. Doch ganz unrealistisch ist ihre Einschätzung nicht. „Die Deutschen sind schwierig“, sagt Wadim. „Immer wird ein Unterschied gemacht.“ Das ist für die beiden GesamtschülerInnen das Hauptproblem. Doch anders als die Alten sehen die Kids den Fehler nicht bei sich selbst. Für sie ist klar: „ Die Deutschen müssen uns endlich akzeptieren.“

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