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Warum so brav, Petra?

Der Mann – kühl an Herz und Hirn? Quatsch: Verkopft sind Frauen, meint  ■ Niels Boeing

Sei offener, phantasievoller, gefühlvoller – sei weiblicher! Diese sympathischen Losungen einer neuen Geschlechteretikette, einer Gender Correctness, weisen dem Mann von heute den Ausweg aus seinem Verstandeskäfig. Glauben Männer doch inzwischen selbst, sie steckten in der eisernen Klammer der Rationalität, die in Kindesjahren um ihr Ich gelegt wurde.

Völliger Schwachsinn und ein Mißverständnis. Frauen sind die wirklichen Kopfmenschen, neben denen Männer wie blasse Schwärmer wirken. Frauen sind rational, zielstrebig und tough.

„Wie Frauen kriegen, was sie wollen“, verrät der Sex-Guide 98 in Petra, einem der Blätter, die die selbstsichere, toughe Frau in den Neunzigern feiern. Falsche Frage, denke ich, denn daß Frauen kriegen, was sie wollen, wenn sie nur wollen, war immer schon klar. Schließlich haben Männer das Handicap in der Hose, das sie immer umfallen läßt.

Die spannendere Frage ist, was will die Frau der neunziger Jahre? Oder, wenn wir sie der Einfachheit halber Petra nennen: Was will Petra?

Petra genießt ihr eigenes Leben und läßt sich von Männern nichts gefallen. Erst recht nicht wolkige Träume, in denen Männer Philosophie, Politik und Revolutionsphantasien zu einem Aufbruch zu neuen Ufern zusammenrühren wollen. Petra bleibt „Down to earth“. „Was sollen diese bescheuerten Diskussionen?“ sagte eine Freundin zu mir. „Männer lamentieren dauernd, das nervt total.“ Was zählt, sind „konkrete Situationen“ und die Menschen „an sich“, hinter denen der Horizont verschwindet wie in einer beengten Bergwelt.

Darin ähnelt Petra ihrer Mutter und ihrer Großmutter auf verblüffende Weise. Das schnell aus dem Ruder laufende Leben muß unter Kontrolle bleiben. Diese Meßlatte wird eisern angelegt, und Kunst und Abenteuer als Lebensentwurf haben hiervor keinen Bestand.

Irgendwann sind die wilden Twen-Jahre vorbei. Die Zeit nach den jugendlichen Flausen bricht an, die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Plötzlich steht dieser krude Biologismus im Raum, von wegen Kinder ernähren können, Verantwortung übernehmen...

Da entpuppen sich reihum Freundinnen und Bekannte als Petras, daß einem die Kinnlade herunterfällt. Eine hat ihrem Lover den Laufpaß gegeben, weil er zu lange überlegte, ob der Studentenjob als Segellehrer nicht besser sei, als mit dem Diplom für eine Softwareklitsche in der Industrie zu programmieren. Auch das eine archetypische Situation – es rätselt der Mann so lange, bis Petra mit ihm Schluß macht: Worum geht es hier eigentlich? Um die Bettnummer nach der überwiesenen Miete? Und gibt's Zärtlichkeit erst, nachdem der Mann seine fixen Ideen über die Welt an der Garderobe weggehängt hat?

Kaum ein Mann scheint auf die Idee zu kommen, dem Rätsel Frau auf die Spur zu kommen, indem er es den Frauen nachmacht: Erst mal den Verstand einschalten.

So hat bisher niemand schnörkelloser auf den Punkt gebracht, was Petra umtreibt, als eine Frau. In den Achtzigern sang Gwen Guthrie in ihrem harmlosen Disco- Hit: Ain't nothin goin' on but the rent, you gotta have a J. O. B. if you wanna be with me. –

Wenn sich alles um die Miete dreht, kann Petra sich einen Macker ohne Job beim besten Willen nicht mehr leisten. Der Typ könnte sich ja durchschnorren wollen. Petras Verstand verpaßt dem Herz einfach einen Tritt in den Arsch. Und schon ist in der phantasievollen weiblichen Seele Funkstille.

Das haut den Mann von heute um. Ratlos steht er vor einer vermeintlich verkehrten Welt: Hatte es nicht irgendwo geheißen, Männer seien kühl an Kopf und Herz – und Hitzewallungen eine hormonelle Störung bei Frauen? Doch für die Konfusion besteht kein Anlaß, die Welt der Neunziger ist alles andere als paradox. Woher soll der Mann den kühlen Verstand eigentlich haben – niemand hat ihm je beigebracht, sein Leben rational anzugehen.

Von Knabenbeinen an dürfen Jungen sich tagaus, tagein surrealistischen sexuellen Phantasien hingeben. Nur in Mathematik und Physik wird erwartet, daß sie ihren Verstand gebrauchen, weil man damit später Geld verdienen kann. So nimmt das Unheil seinen Lauf. Träumend, schwärmend, schwülstig, brünstig werden sie zu Männern und begegnen vernünftigen Frauen, die wissen, was sie wollen: im Leben und im Bett.

Hilflos stülpen die meisten Männer dann das bißchen wissenschaftliche Logik, das sie verstehen, dem Leben über und klammern sich an ihre institutionalisierte Macht. Nur ein paar träumen von einem gesellschaftlichen und sexuellen Utopia und haben ihre Hoffnungen auf die befreite Frau der Neunziger gesetzt: Petra.

Bis tief in die Nacht sitzt sie mit ihrem Freund in ihrer eigenen Wohnung und erklärt ihm mit glühenden Worten, nie ein Leben wie ihre Mutter und ihre Großmutter führen zu wollen. Die wurden als Mädchen darauf getrimmt, ihren Kopf beisammenzuhalten: im Haushalt mit anpacken, die Beine beim Sitzen geschlossen halten, den Jungen nicht zu schöne Augen machen.

Das Leben als permanenter Kontrollzwang. Darüber kann Petra nur lachen. Den Rest der Nacht vögelt sie wunderbar mit ihrem Freund, was Mutter und Großmutter nicht durften.

So steht Petra fest auf ihren eigenen Beinen. Sie hat ihren Job, verdient ihr Geld, sie zeigt es allen: Ich schaffe es. Und merkt nicht, wie die toughe Jagd nach Selbständigkeit denselben rationalen Zug ihrer Mutter und ihrer Großmutter reproduziert. Nicht abhängig werden, nicht die Kontrolle verlieren.

Und am Ende schrumpft alles zu derselben bürgerlichen Farce zusammen: materielle Sicherheit, Kontrolle, Funktionalität. Gotta have a J. O. B. if you wanna be with me. Nur geschieht es dieses Mal in ihrem eigenen Namen und nicht, weil ihre Eltern es verlangt hätten. Das ist der einzige Unterschied. Ist das deine Befreiung, Petra? – Lebe lieber wild und gefährlich!

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