: Die Liebe zur Unvereinbarkeit
■ Vom Lachsturm zum Dauerfrost: Ein Porträt des Komponisten Rolf Riehm bei Rabus
Walter Benjamin beschreibt in seinem „Passagenwerk“das Bild eines Platzes: Die eine Straße heißt nach einem Heiligen, die andere nach einem Revolutionär, die dritte nach einer traditionsreichen Familie. Daneben stehen Häuser unterschiedlicher Stile, unterschiedlicher sozialer Schichten. Der Frankfurter Komponist Rolf Riehm nutzt dieses Bild, um seine Kompositionstechnik zu beschreiben: „Ich bin nicht einer, ich bin mehrere“, sagt er im Gespräch.
Begriffe wie Stileinheit oder Authentizität mag er nicht hören, die „Zusammenhänge“, die er schafft, bilden sich aus der ordnenden Verknüpfung seiner Erlebnisse und Erfahrungen. Die Art und Weise, wie er die Setzung scheinbar unbedeutender Einzelteile vornimmt, gibt darüber Auskunft, daß er „die Unvereinbarkeit so präzise und extrem wie möglich gestaltet“.
Der 1937 geborene Rolf Riehm hat schon immer so komponiert, seit er in den sechziger Jahren dem legendären „Sogenannten Linksradikalen Blasorchester“angehörte, seit er die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre mitmachte und damit die Aufgabe der Kunst als „die Schärfung der Sinne“versteht.
Über den Reichtum dieser Einflüsse und ihrer Umsetzung durch Rolf Riehm gab nun ein Konzert in der Galerie Katrin Rabus umfassend Auskunft. Ein gut vorbereitetes Ensemble der Kammerphilharmonie befaßte sich mit Werken von 1964 bis 1995. „Ungebräuchliches“für Oboe solo forderte den damaligen Oboisten Riehm heraus, sich „mit dem eingeschränkten expressiven Radius des Instrumentes nicht abzufinden“. Und trotz experimenteller Blastechniken, die wir heute kennen, wirkt das Stück in der Wiedergabe von Rodrigo Blumenstock wie neu: Da werden Mundstücke in Sekundenschnelle gewechselt, werden Lippen zusammengepreßt, und es entsteht ein lustvolles Vielerlei von Gestalten, von Lachen, Sprechen, Rülpsen, Witzeln auf dem Instrument.
Riehms doppeldeutige Setzungen haben Folgen: Je nach Verfassung des Hörers wirkt etwas traurig oder lustig oder beides zusammen. Nur so kann es geschehen, daß ein Stück wie „,Ich denk viel'/Mr. President/pizz/13“für trio basso, das Riehm „bei der Komposition tiefernst“empfunden hat, am Tag zuvor beim Fest der Shakespeare Company Lachstürme auslöste und in der Galerie ein anhaltendes Schmunzeln. Glänzend, mit perfektem ironischen Abstand, spielten Klaus Heidemann, Marc Froncoux und Albert Schmitt diese zersprengten kurzen dreizehn Musikfelder, denen jeweils ein Text laut vorgegeben wird: Alles kommt da auf engstem Raum vor, von alten Kompositionstechniken zu trivialen Gefühlen, vom Nazi Sladek zu Rosa Luxemburgs Leiche.
Die Blockflötistin Julia Whybrow ließ mit „Weeds in Ophelias Hair“(1991) kleinste Partikel nahezu lautlos vorübergleiten, bestach durch die Souveränität ihrer schnell wechselnden Atem- und Klangtechnik. Und der Akkordeonspieler Teodoro Anzellotti bot mit „Push-Pull“(1995) ein energetisch geladenes Kraftstück, das sich aus der Idee speist, daß zwei verschiedene Instrumente – die rechte und die linke Hand – aus einer Energiequelle leben, dem Blasebalg: Ein Gegeneinander und gleichzeitiges Miteinander ist die ebenso spannende wie gut nachvollziehbare Folge für die kompositorische Konstruktion.
Wenn man dann noch seine große Oper „Das Schweigen der Sirenen“im Kopf und im Ohr hat, so zeigt sich Rolf Riehm als ein Komponist, der einerseits politisch und ästhetisch eine kompromißlose Haltung hat, der aber andererseits verspielt und neugierig auf Zeitströme regiert: Insofern hat der gut besuchte Abend deutlich gemacht, wieviel von Rolf Riehm noch kommen wird. Weit entfernt von postmodernem Mainstream: „Das Spiel mit unvereinbaren Dingen, das liebe ich.“ Ute Schalz-Laurenze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen