: Die Angst vor dem nächsten Angriff
Unter dem Beschuß serbischer Truppen fliehen immer mehr Menschen im Kosovo vor dem systematischen Terror aus ihren Dörfern. Und für viele von ihnen scheint auch die Hauptstadt Priština kein sicherer Ort mehr zu sein ■ Aus Priština Erich Rathfelder
Es sind nur Gerüchte. Niemand weiß etwas Genaues. Auch nicht über die Zahl derer, die in den von serbischen Sicherheitskräften eingeschlossenen kosovo-albanischen Dörfern in Drenica am Donnerstag getötet wurden. Sind es 51, wie manche Agenturen behaupten, oder sind es weit mehr, wie viele Albaner glauben. Festzustellen, was innerhalb des Belagerungsrings passiert, ist selbst für internationale Organisationen wie das Rote Kreuz unmöglich.
Man kann sich nur ausmalen, was passiert, wenn serbische Truppen mit Artillerie und Maschinengewehren angreifen. Und man kann jene Menschen befragen, die aus dem Gebiet geflohen sind. So wie Nezafrete Rama. Die junge Frau, die eigentlich in der nahegelegenen Industriestadt Mitrovica wohnt, steht noch unter Schock. Am Donnerstag war sie mit Hunderten von Menschen aus dem umkämpften Gebiet, aus dem Dorf Prekaze, geflohen.
Sie war am Dienstag noch auf der Beerdigung der Opfer der Vortage gewesen und war dann bei Verwandten im Dorf geblieben. Am Donnerstag morgen um 5 Uhr früh, so berichtet sie, sei sie wie alle anderen vor dem bevorstehenden Angriff der serbischen Sicherheitskräfte gewarnt worden. Frauen, Kinder und alte Leute seien in den nahegelegenen Wald gelaufen und hätten sich versteckt. „Dann kam der Artilleriebeschuß, wir sahen noch die Rauchschwaden und liefen weiter.“ Über die Berge und durch den Wald gelang ihnen die Flucht in andere Dörfer, von wo aus sie mit Traktoren in die Stadt gebracht wurden. „Die Männer des Dorfes sind zurückgeblieben.“
Dr. Hoxa ist verzweifelt. Zusammen mit einigen Kollegen versucht er, Verwundeten zu helfen. „Doch es gibt jetzt kein Hinein und kein Hinaus mehr aus der Region“. Ohnmächtig wartet er auf Nachrichten über das Geschehen. Und darauf, daß er tätig werden kann.
Die Aktion zur „Bekämpfung des Terrorismus“, so die serbische Sprachregelung, geht unterdessen weiter. Viele Häuser sind zerstört, vor allem jene, die nahe an der serbischen Munitionsfabrik von Prekaze gelegen sind. Die serbischen Sicherheitskräfte gehen systematisch gegen einzelne Familien vor. Nach dem Mord an elf Mitgliedern der Familie Ahmeti wurde in Prekaze die Familie Jeshari bekämpft. Denn sie gilt als wichtiger Teil des Widerstandes. Truppen des Milizenführers Arkan, der schon in Kroatien und Bosnien eine Blutspur hinterlassen hat und aus Priština stammt, sollen an der Aktion beteiligt sein. Serbische Journalisten behaupten, die kosovo-albanische Untergrundarmee UCK sei nun in die Falle gegangen.
Die bedrückten Gesichter im Hauptquartier der „Demokratischen Liga des Kosovo“ in Mitrovica drücken Machtlosigkeit aus. Die Partei, die über eine hervorragende Organisation und über geschulte Mitglieder verfügt und der es gelang, sieben Jahre lang die Bevölkerung im passiven Widerstand zusammenzuhalten, kann nichts unternehmen. Sie hofft auf Hilfe aus dem Ausland. Die aktuellen Kräfteverhältnisse sprechen aber weiter für die Serben.
„Die UCK“, das sind alle, „die ihre Familie und ihr Eigentum gegen Übergriffe der serbischen Angreifer verteidigen.“ So antworten die meisten Albaner auf die Frage, was sie von der UCK halten. „Das sind keine Terroristen, der serbische Angriff ist dagegen Terror“.
In der Straßen der 70.000 Einwohner zählenden Stadt Mitrovica herrscht schon mittags gespenstische Ruhe. Die Geschäfte schließen, die Fenster der Cafés sind verrammelt, die Menschen gehen nach Hause und warten ab. Auf der Straße patrouillieren nervöse serbische Soldaten. Die wenigen Fahrzeuge werden sorgfältig kontrolliert, nach Waffen durchsucht. Die Menschen haben Angst. „Das, was in Drenica passiert, kann auch uns erreichen.“ Ein junges Mädchen sucht ihren Onkel, den sie kurz zuvor mit den Journalisten gesehen hat. Sie glaubt, er sei verhaftet worden. Jeder Kontakt mit Ausländern wird durch die Zivilstreifen der Polizei genau registriert. Wer mit den Ausländern geredet hat, kann sich auf Polizeiverhöre einrichten. Außer Brot gibt es nichts zu essen. Nur in der Hauptstadt Priština scheint alles „normal“ zu sein.
„Nichts ist normal“, sagt Radovan M., der aus einer alteingesessenen serbischen Familie stammt. Auch er hat jetzt Angst um seine Familie. Deshalb hat er schon Geld und Wertsachen nach Griechenland gebracht. „Viele alteingesessene Serben tun dies.“ Das gleiche haben auch viele albanische Mittelstandsfamilien vor. „Am Wochenende bringe ich meine Mutter und meine Schwester nach Makedonien“, sagt ein Albaner. „Dort sind sie in Sicherheit.“
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