: Von Mündigkeit und Herzensbildung
Volksbegehren: Warum der Landwirt und „Mehr Demokratie“-Aktivist Manfred Brandt aus Moorburg unerschütterlich daran glaubt, daß „dem Volk“zu trauen ist ■ Von Ulrike Winkelmann
Er ist nicht der Initiativen-Fredie, der auf Knopfdruck die immergleichen Empörungs- und Forderungskataloge herleiert. Und obwohl Manfred Brandt schon tausend Mal begründet hat, warum er als einer der drei „Vertrauensleute“der Initiative „Mehr Demokratie“für die Volksgesetzgebung kämpft, klingt es doch so, als wenn er seine Argumente gerade taufrisch abgewogen und verpackt hätte.
„Wenn sich mehr Menschen für politische Entscheidungen verantwortlich fühlen, wird die Gesellschaft lebenswerter, reicher, stabiler“, lautet seine Überzeugung. „Man darf keine Angst vor den Entscheidungen des Volkes haben und glauben, man müsse ihm erst das richtige Bewußtsein einpflanzen, bevor es mündig ist.“Nur wenn BürgerInnen häufiger als alle vier Jahre um ihre Stimme gebeten würden, könnten sie sich als mündig erweisen.
Brandt, Jahrgang 45, Moorburger von Herkunft und aus Passion, redet so, weil er daran glaubt, daß Menschen glücklicher sind, wenn sie sich mit ihrem Raum und ihrem Gemeinwesen identifizieren, und daß eine Volksgesetzgebung dazu ein Mittel sei. Die meisten Sätze fängt er mit „Wir“an und unterscheidet: Heimat ja, Vaterland nein, Kommunalpolitik ja, zentralisierte Staatlichkeit nein.
Nicht, daß er etwas gegen Parteien und Parlamente hätte – Brandt ist seit 25 Jahren, inzwischen jedoch nur mehr nominell, Mitglied der FDP. Als Gemeinderat in Altenholz bei Kiel hat er dort den ersten Bürgerentscheid Schleswig-Holsteins über den Neu- oder Umbau des Rathauses mit angeschoben. „Und dann war Ruhe im Karton“, meint er. Wo sonst noch jahrelang herumgemäkelt worden wäre, sei dann eben akzeptiert worden, wofür sich die Mehrheit entschieden habe.
Den Gemeinderats-Posten und seine akademische Karriere als Dozent an der Uni Kiel hat Brandt Anfang der neunziger Jahre sausen lassen, um den Hof seiner Eltern am Moorburger Elbdeich zu übernehmen. Jetzt verdient er sein Geld als Spezialist für Wiederkäuer-Ernährung. Im Süderelbegebiet gibt es keinen „runden Tisch“ohne Brandt. Dem Untergang Moorburgs, das in vierzig Jahren der Hafenerweiterung zum Opfer fallen soll, hat er trotzig die Sanierung des Elternhauses entgegengesetzt, und mit dem Ausbau der Scheune hat er überhaupt erst voriges Jahr angefangen.
Hier kratzen Freiwillige aus Hamburg, aber auch Zugereiste von „Mehr Demokratie“-Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet fleißig Parteien-Wahlwerbung von Spanholztafeln ab und bekleben sie neu mit den Aufrufen zum Volksbegehren. Und wenn die HelferInnen ausbleiben, zimmert Brandt nachts um drei auch alleine neue Stellwände zusammen. Mehrere tausend dieser Tafeln haben von hier ihren Weg in die gesamte Stadt gefunden.
Die AktivistInnen von „Mehr Demokratie“kommen aus einem Initiativen-Spektrum, wie es breiter nicht sein könnte, und ihr einziger gemeinsamer Nenner lautet Mitbestimmung. Mit dem Volksentscheid werben sie auch für sich; sie wollen beweisen, sagt Brandt, „daß Parlamentsentscheidungen nicht rationaler sind als solche, die in der Bevölkerung gefällt werden.“Kompetenz sei nicht Partei-Politikern vorbehalten: „Die Bürgerschaftler, die über die Hafenerweiterung in Moorburg abgestimmt haben, wußten zu 80 Prozent nicht einmal, wo das liegt.“
Auch sei es falsch, etwa zu fürchten, „das Volk“würde im Zweifel gegen AusländerInnen und für Autobahnen stimmen. „In den Parlamenten wird vielleicht politisch korrekt geredet, aber die Entscheidungen sind doch trotzdem ideologisch.“Politische Dummheit sei ebenso über alle Schichten verteilt wie „Herzensbildung“. Und die herzgebildeten Argumente, meint Manfred Brandt, „können sich doch langfristig nur durchsetzen, wenn so viele Menschen wie möglich davon überzeugt worden sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen