: Was das Volk begehrt
Mehr Demokratie in Hamburg? Ab heute können Stimmen für das erste Volksbegehren im Stadtstaat abgegeben werden ■ Von Elke Spanner
Mindestens vier Hände ziehen und zerren an dem Jungen herum. Stülpen ihm Mützen über, friemeln ihm einen Pullover über den Kopf, strangulieren ihn mit wärmenden Ringelschals und knebeln seine Füße mit Wildlederboots. Stiefel oder Sandalen – „darf ich vielleicht auch mal was sagen?“Darf er nicht. Er hat allen Grund, für das Volksbegehren zu sein, teilt der Junge dann mit, denn: „Das soll Demokratie sein?“
Ab heute wird dieser Werbespot in Hamburger Kinos zu sehen sein. Auch via Hörfunk-Jingles und im Internet mobilisiert die Initiative „Mehr Demokratie in Hamburg“die Wahlberechtigten, ihre Stimme für das Volksbegehren abzugeben. Von heute an bis zum 23. März ist das möglich. Stimmen 10 Prozent der wahlberechtigten HamburgerInnen dafür, geht der Kampf um mehr Mitbestimmung im September in seine letzte und entscheidende Runde (siehe Text unten).
Bis dahin gilt es allerdings, noch einige Klippen zu meistern. Insbesondere, die BürgerInnen darüber zu informieren, was sie nun eigentlich tun sollen. Die von der Stadt verschickten Benachrichtigungskarten seien nämlich „total desinformativ“, schimpfte Michael Efler von „Mehr Demokratie“gestern. Zum Beispiel würde den HamburgerInnen empfohlen werden, den Zettel einfach im Papierkorb zu vernichten, sollten sie gegen das Volksbegehren sein. Abfällig sei das, findet Horst Schulz vom „Fo-rum Bürgerinnen- und Bürgerbewegung e.V.“: „Bei einer Wahl würde die Stadt niemals empfehlen, die Karte wegzuschmeißen, wenn man sich für die Parteien nicht interessiert.“Wer seine Karte entweder gar nicht bekommen oder bereits verloren habe, könne dennoch für das Volksbegehren stimmen, informierte Marcus Hiller von „Mehr Demokratie“. Auch unter Vorlage des Personalausweises kann man nämlich im Bezirksamt seine Kreuzchen machen.
Die Initiative will die Hürden für Bürgerabstimmungen auf Landesebene senken und plebiszitäre Elemente auch in den Bezirken einführen. Unterstützt wird sie von einer Reihe „Bündnispartner“. Welch unterschiedliche politische Strömungen sich mehr Einfluß auf die Stadtpolitik versprechen, zeigt sich an deren Bandbreite. Darunter finden sich Umweltschützer wie etwa der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), Gewerkschaften wie die GEW und die DGB Jugend oder etwa die Altenpartei „Graue Panther“. Unterzeichnet haben aber auch FDP und GAL, die „Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer (ASU)“und die rechtsorientierte „Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP)“.
„In unserer Demokratie geht die Macht in der Tat vom Volke aus, aber sie kommt nicht mehr zu ihm zurück“, begründet der Kabarettist Hans Scheibner sein Engagement. Und Jörg-Uwe Frank, der in Schleswig-Holstein bereits „basisdemokratische Erfahrung“gesammelt hat, weiß, daß Volksentscheide „Diktaturen verhindern, Arbeitsplätze schaffen und einfach glücklicher machen“.
Viel wurde über Politik und Politiker geschimpft gestern mittag, als der Startschuß für die Eintragungsfrist abgegeben wurde. So auch von Günther Glatz aus Wilhelmsburg, der sich im Streit um die Verlegung des Elbdeiches „vom Bürgermeister betrogen fühlt“– und dann beiläufig erwähnt, selbst Sozialdemokrat zu sein.
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