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Ein Götterbote für Hermès

Heute beginnen die Prêt-à-porter-Schauen in Paris. Martin Margiela stellt seine erste Kollektion für Hermès vor  ■ Von Anja Seeliger

Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt“, erklärte der Sattelmacher Jean-Louis Dumas, Präsident von Hermès, im März letzten Jahres einem Reporter von Newsweek, „die, die wissen, wie man ein Werkzeug benutzt, und die, die es nicht wissen.“

Wenn heute die Prêt-à-porter- Schauen für die Damenmode Winter 98/99 in Paris beginnen, wird Hermès seine Kollektion gleich zweimal zeigen. Grund ist die spektakuläre Berufung des belgischen Designers Martin Margiela, 40, zum Chefdesigner von Hermès. Margiela ist ein Absolvent der Académie des Beaux Arts in Antwerpen, der Schule, die auch Ann Demeulemeester, Dries van Noten und Dirk Bikkembergs hervorgebracht hat. Er war drei Jahre Assistent von Jean-Paul Gaultier und hat 1989 seine erste eigene Kollektion in Paris vorgestellt.

Was will eine Traditionsfirma wie Hermès mit einem Avantgardeschneider? Ist das nur wieder so ein Coup, ein neuer Hauskasper, der den Verkauf von Schals ankurbeln soll? Viel spricht dafür. Aber es spricht auch einiges dagegen. Zuerst die Argumente für die Zweifler: Margiela ist der große Unbekannte in der Modebranche. Er läßt sich nicht fotografieren, gibt keine Interviews, selbst sein Markenzeichen ist eine Leerstelle – ein weißer, von Hand mit Heftgarn angenähter Baumwollstreifen. Die Koketterie, die in dieser Bescheidenheit liegt, mildert das Prätentiöse daran: Die wenigsten Kleider von Margiela sind verwechselbar. Er benutzt oft Bruchstücke alter Kleider vom Flohmarkt, die er in seine eigenen einarbeitet – ein paar alte Stricksocken, die zu Ärmeln verarbeitet werden, den Sattel einer alten Jeans, der zum Mieder umfunktioniert wird. Manchmal nimmt er einfach mehrere alte Kleidungsstücke und macht daraus ein neues.

Da spazieren gerade 24.000 Mark

Hermès dagegen ist der Tempel des guten Geschmacks der Bourgeoisie. Berühmt ist das Haus vor allem für seine Lederwaren und Seidenschals, die in jedem Duty- free-Shop dieser Welt feilgeboten werden. Durch das großzügig auf Schuhe, Gürtel und Handtaschen applizierte Markenzeichen sind sie perfekte Statussymbole. Wenn eine Kellybag aus Krokoleder das H trägt, weiß der Kenner: Da gehen 24.000 Mark spazieren.

Die bisherige Prêt-à-porter-Linie ist elegant und so unauffällig, daß man garantiert nicht bemerkt wird. Sie macht etwa 15 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Auf den zweiten Blick haben Hermès und Margiela allerdings mehr gemein als Galliano und Dior, ganz zu schweigen von McQueen und Givenchy. Beide gehören zu dem Teil der Menschheit, der weiß, wie man ein Werkzeug gebraucht. Hermès, gegründet 1837, war ursprünglich eine Sattlerei. Der jetzige Präsident, Jean-Louis Dumas, ist Erbe in der fünften Generation. Er ist wie sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater Sattelmacher. Maßgefertigte Sättel sind übrigens heute noch eine Spezialität, die nur das Hermès-Geschäft in Paris bietet. Wenn es um handwerkliche Techniken geht, ist er rigoros: 1995 schickte er zehn seiner Silberschmiede nach Indien in die Wüste Thar, nahe der pakistanischen Grenze, damit sie ihre Arbeiten mit denen der dortigen Kesselflikker vergleichen konnten. Lederspezialisten werden zu den Himba nach Namibia geschickt, deren Steigbügel, wie ein Foto im letzten Katalog belegt, von gnadenloser Einfachheit und Schönheit sind, während andere Angestellte für die Hermès-Tücher Farben und Techniken junger Maler der Polataka-Schule in Uganda studieren. Nie wurden fremde Kulturen mit größerem Respekt ausgebeutet.

Margiela wiederum hat dem Handwerk den höchsten Tribut gezollt, indem er es nach außen gekehrt hat: Säume, Abnäher, Futter, Schulterpolster – alles, was normalerweise sorgfältig verborgen wird, um eine glatt schimmernde Außenhaut zu präsentieren – und so der Arbeit und der Intelligenz des Schneiders den Respekt versagt. Darin ist er sogar noch weiter gegangen als Rei Kawakubo (Comme des Garçons). Im letzten Jahr steckte er seine Mannequins in Korsagen aus festem Sackstoff, so daß alle die Büsten von Schneiderpuppen hatten. Darauf drapierte er dann ein Stück von einem Kleid. Bei einem war die rechte Seite der Brust mit einem dicht gefältelten schwarzen Musselin bedeckt, der mit weißem Faden auf kreuzförmig verlaufende Gummibänder geheftet war, der Rest hing in einer langen Bahn herunter. Es war weniger ein Kleid als eine Drapéstudie, die vorführte, wie der Busen mittels genau kalkulierter Raffungen geformt wird. Im Ergebnis könnten Hermès und Margiela nicht unterschiedlicher sein. In ihrer Neugier darauf, wie etwas gemacht wird, sind Dumas und Margiela verwandte Seelen.

Ob die Berufung von Margiela nun ein Geniestreich oder eine Publicity-Masche ist, wird sich bereits heute abend zeigen. Dumas hat seine Intention letzte Woche noch einmal in Libération bekräftigt: „Man kommt immer wieder auf das Pferd zurück. Ein Pferd liest keine Zeitung. Aber es weiß ganz genau, ob ein Sattel schlecht gearbeitet ist.“

Ab Mittwoch berichtet die taz täglich über die Prêt-à-porter-Schauen in Paris.

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