piwik no script img

„Sie werden nicht zögern, uns zu töten“

Frauen und Kinder sind aus den umkämpften Gebieten in der serbischen Provinz Kosovo geflohen. Nur noch die Männer sind da – sie leben in den Wäldern. Die Häuser in den Dörfern sind beschädigt oder niedergebrannt  ■ Aus Prekaze Erich Rathfelder

Die serbischen Polizisten an einem Kontrollpunkt 30 Kilometer westlich von Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, sind ungehalten. Die Straße in die Region Drenica sei geschlossen, wird unmißverständlich klargemacht. Der Ring um die umkämpfte Region Drenica soll dicht gehalten werden. Weder Journalisten noch internationale Hilfsorganisationen sollen sich ein eigenständiges Bild von den dortigen Ereignissen machen können.

Über Bergpfade gelingt es doch, durch den Belagerungsring zu schlüpfen und das Dorf Likoshan zu erreichen. Hierher strömten am Dienstag letzter Woche noch Zehntausende Menschen, um nach den vorausgegangenen Angriffen auf das Dorf 24 Tote zu beerdigen. Jetzt liegt der Ort wie ausgestorben in der Frühlingssonne. Nur ein alter Mann steht vor seinem Haus. Alle Frauen und Kinder seien geflohen, nur einige Männer seien noch da, bedeutet er. Die meisten von ihnen hätten sich in die Wälder zurückgezogen.

Noch eine Anhöhe und dann ist das Ziel, das Dorf Prekaze, erreicht. Hier soll es in der letzten Woche zu einem neuen Massaker gekommen sein, 51 Tote soll es hier gegeben haben. Plötzlich ist ein schriller und eindringlicher Pfeifton zu hören. Unser Geländewagen ist von Männern umringt.

Zwar trägt niemand eine Waffe oder Uniform, doch die Gesichter sind angespannt. Erst als geklärt ist, wer die Besucher sind, werden die Mienen freundlicher. Es sind Bewohner des Dorfes Prekaze, die in den Wäldern leben. Von dem Hügel aus können sie auf ihr Dorf und die weiter entfernt liegende Ortschaft Srbica sehen, wo die serbischen Sicherheitskräfte zusammengezogen sind. Sie deuten auf die Rauchsäulen am Horizont. Plötzlich ist ein dumpfes Bellen zu hören. Ein Panzer, der mit bloßem Auge zu erkennen ist, hat eine Granate abgeschossen.

Vorsicht ist angebracht. Auf Umwegen und immer darauf achtend, nicht in den Bereich serbischer Scharfschützen zu kommen, führen uns einige der Männer in das Dorf. Die Spuren des Angriffs sind deutlich zusehen. Granateinschläge haben die Front des Hauses von Halid Kadrija zerstört, Maschinengewehrgeschosse haben Löcher in die Wand geschlagen. Der alte Mann ist in seinem Haus geblieben und lebt jetzt im Keller. Der schwer herzkranke 70jährige würde das Leben in den Wäldern nicht durchhalten.

Viermal wurde der Ort seit Mittwoch letzter Woche angegriffen, am Donnerstag dauerte der Angriff von sechs Uhr morgens bis in die Dunkelheit. Die Spuren auf den Straßen weisen darauf hin, daß Panzer und gepanzerte Mannschaftswagen im Dorf waren. Die serbischen Polzisten seien in die Häuser gekommen und hätten die Leute herausgeholt, berichtet Halid Kadrija. Wie viele Menschen ihr Leben verloren haben, weiß er nicht. Er hielt sich bei dem Angriff in seinem Keller auf und traute sich nicht nach draußen.

Die Begleiter drängen zur Eile. Die serbischen Truppen können jederzeit zurückkommen. Das Dorf kann von den Männern nicht verteidigt werden. Von Kämpfern der geheimnisvollen kosovo-albanischen Untergrundarmee UCK ist nichts zu sehen, niemand trägt Waffen. Den Begleitern ist anzumerken, daß sie Angst haben. Das ist nicht das Verhalten von Kämpfern einer Untergrundarmee, die sich angeblich verteidigen kann. Hier halten Menschen durch, die Tag und Nacht um ihr Leben fürchten müssen.

Auch andere Häuser wurden von Panzergranaten und Maschinengewehrfeuer beschädigt. Die Einschußlöcher in den Dächern weisen zudem auf Hubschrauberattacken hin. Hier im oberen Teil des Dorfes wurde aber keines der Häuser niedergebrannt. Im unteren Teil jedoch, dort, wo die Familie Jashari lebte, sollen alle Häuser in Brand gesteckt worden sein.

Plötzlich tauchen zwei junge Frauen auf. Die 19- und 17jährige Hatixhe und Xhemile Jashari sind 15 Kilometer weit gelaufen, um festzustellen, was mit ihrer Familie geschehen ist. Während der Angriffe hatten sie sich in einem anderen Dorf aufgehalten. Hatixhe ist in Sorge um ihren Mann. Sie weiß nicht, wo er steckt. Sie hofft, daß er dem Massaker entgangen ist.

Aus der Deckung in einem nahegelegenen Wäldchen heraus können wir das Anwesen der Familie sehen. Dort schwelen noch die Balken der niedergebrannten Häuser. Die beiden jungen Frauen sind trotz der Gefahr, von Scharfschützen getroffen zu werden, nicht davon abzuhalten, noch näher heranzugehen. Doch nach kurzer Zeit kommen sie aufgelöst und weinend zurück. Sie hätten einen Militärlastwagen und einige Männer gesehen, berichten sie.

Acht Mitglieder der Familie sind wahrscheinlich umgekommen. Die Familie wurde dafür bestraft, daß sie als eine der angesehenen kosovo-albanischen Familien gilt, die sich nicht dem herrschenden serbischen Regime fügen wollen. 1981 war die Großfamilie von der Polizei überfallen worden, Hatixhes Vater, sein Bruder Tahir sowie zwei seiner Töchter sind damals getötet worden. 1991 vertrieb die Polizei die Familie aus ihren Häusern, die Jasharis kamen aber zurück und bauten das Anwesen wieder auf. Im Vorjahr wurde der 35jährige Adem Jashari von einem serbischen Gericht in Abwesenheit zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Serbischen Angaben zufolge war er ein Führer der UCK und wurde bei den Angriffen auf Prekaze getötet.

Die Begleiter drängen erneut zur Eile. Ein Militärjeep sei gesichtet worden. Aus der Ferne sind wieder Schüsse der Panzer zu hören. Beim Abschied bitten die Männer höflich um Hilfe. Sie hoffen, daß endlich internationale Hilfsorganisationen und das Rote Kreuz in die Region geschickt werden. „Sie werden nicht zögern, uns zu töten. Die Welt darf doch das, was hier geschieht, nicht zulassen.“

Es dunkelt. Auf der Straße, die schon außerhalb des Belagerungsrings liegt, sind acht gepanzerte Transporter der serbischen Sondertruppen zu sehen. Auf ihnen befinden sich je zehn schwerbewaffnete und maskierte Uniformierte. Es sind Mitglieder der Antiterroreinheiten SAJ des Innenministeriums, die unter dem Befehl des Kommandanten Frenkig Simanović stehen und schon in Kroatien und Bosnien im Einsatz waren. Die Kolonne ist auf dem Weg in die abgesperrte Zone. In der Nacht zum Sonntag, so heißt es später in Pristina, soll es zu neuen „Kämpfen“ in Drenica gekommen sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen