: Seufzer in roten Plüschsesseln
■ Das Tim Isfort Orchester ist mit prominenter Besetzung auf Tour. In Dortmund machte es stilgerecht in einem Lichtspielhaus Station
Eine Geschichte wie ein großer Jungstraum: Junger Mann, Ende 20, sitzt in einem Provinztonstudio und produziert Musik für die Werbung. Abends legt er die Soundtracks der großen 50er-Jahre-Filme auf. Platten von Frank Sinatra und Henry Mancini, bis seiner Freundin „Pink Panther“ und Konsorten auf den Wecker fallen. Eines Tages schart er selbst ein Orchester um sich, und Robert De Niro singt dazu.
Beinahe wahr. Tim Isfort heißt der Musiker, das Orchester trägt seinen Namen. Statt Robert De Niro singt Christian Brückner, dessen deutsche Stimme. Auch Blixa Bargeld, Katharina Thalbach, Tom Liwa (Flowerpornoes), die Sängerinnen Sam Brown und Eva Kurowski konnte Isfort für sein Projekt gewinnen: Raffiniert arrangierte Stücke für ein 30köpfiges Orchester, die irgendwo zwischen Filmmusik, Chanson und Big- Band-Sound schweben. Gegenwärtig bestreitet die Riesen- Combo ihre erste große Tour.
Als das Isfort-Orchester im letzten Sommer auf Platte erschien, nickten die Kritikerköpfe eifrig. „Seltsam und sensationell“, befanden die einen, „die außergewöhnlichste CD des Jahres“, die anderen. Der schüchterne Tim Isfort lächelt: „Klar freut mich das, wenn die Leute unsere Musik schön finden – solange sie uns nicht in die Easy-Listening-Ecke drängen.“
Tim Isfort macht Musik mit maximalem Andock-Potential: Fans der Einstürzenden Neubauten und Kinofreaks finden sich genauso wieder wie höhere Töchter und Söhne, die nichts als Jazz und Klassik kennen. In Dortmund sitzen sie alle in den roten Plüschsesseln des Programmkinos Roxy – das einzige Konzert in einem Lichtspieltheater. Schwer, nicht nostalgisch zu werden: Zur Einstimmung läuft ein Ausschnitt aus dem Sinatra- Streifen „Pal Joey“, später wird Sam Brown einen Song von Frankie singen: „I Fall in Love so Easily“, während auf der Leinwand stumm Jeanne Moreau durch die Straßen von Paris schlendert, auf der Suche nach ihrem Mann, der im „Fahrstuhl zum Schaffot“ steckt. Seufzen.
Nicht allein die süße Verklärung einer schwarzweißen Epoche macht den Reiz des Isfort-Orchesters aus – die wechselnden Sänger sind seine Stärke, dazu die Bandbreite der Soundregister. Majestätisch eröffnen die Bläser in aufsteigenden Oktaven, ein gemächliches Frage-und-Antwort-Spiel mit dem Baß, eine kurze verträumte Melodie von Tenorsaxophon und Harmonika. Da tritt Eva Kurowski auf – groß, schlank, Abendkleid –, und sie schwenkt ihre langen Arme wie einst Rita Hayworth. „Heut' ist der erste Tag des Sommers“, singt sie, und plötzlich sind alle Klischeemetaphern wieder in Kraft: Eine Stimme klar wie Glas, und das Publikum wartet lauschend auf die fallende Stecknadel.
Für Blixa Bargeld hält sich das Orchester mit einem dunkel-geheimnisvollen Klangteppich im Hintergrund. Um so mehr genießen die Musiker ihren Freilauf bei Instrumentalstücken wie „Absolute Activity“. Da fangen die Geiger an zu schunkeln wie die Bläsersektion einer Big Band. Klassisch zurückhaltend ist der Streicherpart, wenn Christian Brückner den Text „Drei Teile Gold“ spricht. Eine bannende Stimme, zweifellos, aber auf der Bühne weiß der Synchronsprecher nicht so recht, wohin mit den Händen. Die Zuhörer im Roxy stört's nicht – Fans in Dortmund sind treu.
Tim Isforts Musik ist noch tiefer im Westen entstanden, in Duisburg. Links vom Rhein hat der 30jährige einen alten Bauernhof bezogen: Thyssen in Sichtweite, direkt gegenüber eine Schornsteinfabrik und eine Schachtanlage. Den Weg zu dem Ruhrkohle- Stützpunkt säumen weggeworfene Bierdosen. Güterzüge rattern vorbei. Nostalgisches Seufzen, die zweite.
Noch kurz vor der Tournee herrschte in Tim Isforts Studio hektische Betriebsamkeit. Fieberhaft transponierten drei Kopisten die Einzelstimmen aus den Partituren für die Musiker. Mit Hirn und Filzschreiber, dem Computer in der Ecke. Eine Woche lang, 18 Stunden täglich, eingeteilt in Schichtdienst.
Vors Teamwork hat Tim Isfort das Originalgenie gesetzt. Seine Stücke entstehen am Klavier. „Auf dem Keyboard könnte ich die Orchestersounds zwar hören, ich will sie mir aber lieber vorstellen“, sagt er. Die langen Haare hängen im Gesicht, er rückt sich die Brille zurecht. „Man lernt so, wieder globaler zu denken, wenn man die einzelnen Spuren nicht endlos nachbearbeitet.“ Zeitgenössische Popmusik? „Finde ich häufig überproduziert.“ Richtig gut ist Isfort, wenn die Nostalgie mit einem Augenzwinkern versehen ist. Und das flackert brillant in der Kombination mit den Texten auf. Wenn der Ruhrpott-Poet Tom Liwa tief in die flache Kiste seines Stab- und Binnenreimvorrats greift: „Heut' ist der erste Tag des Sommers / nach einem langen harten Herbst voll Warten / und dahinter einem tristen Winter“ – das ist mehr als schieres 50er-Jahre-Revival. René Aguigah
Tourdaten: 11.3. Karlsruhe, 12.3. Leipzig, 13.3. Marburg, 14.3. Hamburg, 15.3. Lübeck, 16.3. Berlin
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