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Wattestäbchen im Campingbus

■ „Die Musterknaben“ sind eine Liebeserklärung an Köln-Porz

In Köln-Porz leben Biedermänner, die auf dem Balkon ihrer kleinen Einzimmerwohnung grillen. Solche Biedermänner sind unverheiratet, denken nachts an Blondinen, die ihnen Begehrlichkeiten ins Ohr flüstern, und gehen mit ihrer Mutter nachmittags einkaufen. Oder sie fahren Motorrad, würden gerne in Berlin leben und gehen abends ins Fitneßstudio.

In Köln-Porz leben aber auch Männer, die Designeranzüge tragen und große Appartements besitzen, in denen nur ein Anrufbeantworter steht. Die einen sind arm und anständig, trinken Kölsch, benutzen billiges Rasierwasser, arbeiten bei der Kölner Kripo und heißen Jürgen Docker (Jürgen Tarrach) und Olli Dretzke (Oliver Korittke). Die anderen sind reich und kriminell, koksen, fahren Porsche, verkaufen Drogen und heißen Alibaba (Hilmi Sözer) und Der Doktor (Heinrich Giskes).

Und weil das so ist, sitzen die beiden „Musterknaben“ von der Polizei in einem Campingbus, observieren die Wohnung der Bösen und müssen sich von ihren arroganten Düsseldorfer LKA-Kollegen (Herbert Knaup und Gerald Held) herumkommandieren lassen, die zudem noch gemeinsame Sache mit den Drogendealern machen, so daß der Überwachungsjob nicht nur langweilig, sondern auch noch sinnlos ist. Trotzdem sind wir uns sicher, daß es die beiden unscheinbaren Durchschnittsbeamten den großkapitalistischen Verbrecherlackaffen schon zeigen werden, und unser Gefühl täuscht uns nicht, denn die Handlung, die sich vor uns entfaltet, ist die hinlänglich bekannte eines typischen BRD-Krimis.

Zum Glück sehen das Ralf Huettner und sein Co-Autor Dominick Raacke genauso, und sie verwenden die Kriminalgeschichte nur als Hintergrundfolie, um etwas ganz anderes in den Vordergrund treten zu lassen: den Alltag nämlich und das Kölner Lokalkolorit. Sie zeigen uns zwei Helden, die Deoroller benutzen und Wattestäbchen, um sich die Ohren zu reinigen, die Probleme mit verschwitzten Füßen und Satellitenschüsseln haben und deren Traum vom Glück sehr bescheiden ausfällt: Für Dretzke ist es die Versetzung nach Berlin, für Docker die Ehe mit einer blonden Holländerin (Ellen Ten Damme). Wir sehen Kölner Schnellrestaurants, in denen Pizza gegessen wird, und Kölner Kneipen, in denen es verboten ist, den Fernseher über der Bar auszuschalten; wir sehen Wolkenformationen über Köln-Porz ziehen und hören dazu den deutschen Rap der Kölner HipHop- Band DCS, und diese Nebensächlichkeiten sind viel kurzweiliger als die Schieß- und Balgereien, auf die Huettner und Raacke so ganz dann doch nicht verzichten wollten.

Am Ende stehen Docker und Dretzke auf dem Balkon von Dockers Wohnung, der eine ohne Holländerin, der andere ohne Aussicht auf Umzug in die Hauptstadt. Sie trinken Dosenbier und lachen über einen schlechten Witz, den Docker gerade gemacht hat, und es ist schade, daß der Film genau in dem Moment vorbei ist, in dem man feststellt, daß es doch eigentlich nett wäre, den beiden beim Biertrinken zuzuschauen, mindestens eine Viertelstunde lang. Christian Loeffelbein

„Die Musterknaben“. Regie: Ralf Huettner. Mit Jürgen Tarrach, Oliver Korittke, Ellen Ten Damme. D1997, 95 Min.

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