Was ist ein Schatz?

■ Eine Frage für eine Ausstellung des Völkerkundemuseums

Mit Seeräubern auf die literarische Schatzinsel fahren, mit Tintin oder Indiana-Jones in Comic und Film wertvollen Geheimnissen nachforschen oder mit Wagners Musik die fürchterlichen Folgen genießen, die das Rheingold über Germanen und ihre Götter bringt: Schätze beflügeln seit je den Menschen. Man kann der Technik vertrauen und einen Metalldetektor kaufen, dem Glück vertrauen und Lotto spielen – oder einfach ins Museum für Völkerkunde gehen.

Verborgene Schätze werden dort jetzt zugänglich gemacht, jedenfalls wenn man sich nicht vor Drachen fürchtet. Die neue Sonderausstellung präsentiert Hunderte von noch nie gezeigten Dingen aus den eigenen Sammlungen und stellt darüberhinaus die grundsätzliche Frage, was denn überhaupt ein Schatz sei. Vieles aus den Archiven der Museen ist nur selten oder nie zu sehen, so können die eigenen Bestände eine gute Quelle für neubewertende Ausstellungen sein.

Das Völkerkundemuseum besitzt 350.000 Objekte von antikem Gold bis zur sozialistischen Medaille für den Held der Arbeit. Als anthropologisch orientierte Sammlung spielt der Geldwert dieser Dinge dabei eine untergeordnete Rolle. Auch künstlerische Einzigartigkeit steht nicht im Vordergrund, sondern der Wert als Beleg für den Einfallsreichtum der Menschheit.

Geheimnisvoll führt die Inszenierung der Ausstellung den Besucher in schwarzes Dunkel und zu matterleuchteten Schätzen. Samurais bewachen den Eingang, eine Allee aus mythologischen Wächtern lenkt den Blick auf den metergroßen Feuerdrachen, der den Schatzhort bewacht. Reste von Prinzenpalästen und schreckliche Mumien sind zu überwinden, bevor aus Pyramiden afrikanisches und vorspanisches Gold aus Amerika glänzt. Dabei sind hier vom heutigen Bali bis zur schon vor tausend Jahren verloschenen Atacameno-Kultur in Nordchile die Dinge ganz dem europäischen Vorstellungsraum untergeordnet.

Indianisches und Asiatisches mischt sich zu einer legendären Realität wie es in Europa jahrhundertelang üblich war und wie es sich in den nicht immer sehr an der Realität orientierten Büchern früher Weltreisender nochmals dokumentiert. Doch zugleich bricht die Ausstellung den materiellen, eurozentrischen Schatzbegriff und erklärt an vielen Einzelstücken, was in verschiedenen Kulturen als Schatz definiert wird.

Schon die Bibel lenkt immer wieder die Gedanken fort von den materiellen Werten: der Schatz im Weinberg ist der erarbeitete Wein und nicht etwa eine vergrabene Kiste, ein treuer Freund und das Seelenheil die wirklichen Schätze.

Dinge, die solch andere Werte zu Schätzen erklären, brauchen auch hier wieder Erklärung für den Besucher. Und so ist erläutert, was einen ziemlich unspektakulären Wandschirm zum koreanischen „Nationalschatz“ macht oder wie sich im afrikanischen Häuptlingsstuhl die „gute Regierung“ manifestiert. Eine japanische Paradepuppe steht für „Kindersegen“, ein Wampun-Gürtel der Alonquin-Indianer für „Kommunikation“ und die Friedenspfeife ist sich selbst Symbol genug.

Dabei ist es dem Besucher überlassen, ob er in diesem kleinen Modell eines möglichen Museums eher dem Zauber der Objekte oder der begriffserweiternden Argumentation folgt und sich am Ende die Frage nach dem eigenen, persönlichen Schatz stellt. Wer mag, kann diesen oder ein Foto davon dem Museum zur Verfügung stellen: er wird dann in zusätzlichen Vitrinen in die Ausstellung einbezogen. Hajo Schiff