: Die Kultur als Retter der Videoten
■ Sommertheater: Premiere von Charleroi/Danses' Multimedia-Tanztheater „Ex Machina“
Wem kommt bei der Ansicht eines Schwimmhallenbaus nicht ein Schwall persönlicher Erinnerungen entgegen? Vom ersten Fußpilz bis zum ersten Kuß, vom Desinfektionsgeruch verschwenderisch eingeleiteten Ozons bis zu Duschexzessen und Schlachten mit nassen Handtüchern? Für gar manchen wird das Schwimmbad der Ort der Initiation in die Gemeinschaft einer Clique, der erwachenden Sexualität oder der schmerzlichen Niederlagen des sportlichen Ehrgeizes gewesen sein.
All diese Assoziationen ruft das Eröffnungsspektakel von Fabrizio Plessi hervor, der gemeinsam mit dem Choreografen Frédéric Flamand mit Ex Machina seine technikkritische Trilogie (nach Icare und Titanic) beendet. Die Computeranimation des Schwimmbades von Charleroi, auf die monumentale Rückwand des halben, bühnengreifenden Schwimmbadnachbaus projeziert, wirft die assoziativen Ankerketten weit hinaus. Doch wie Flamand auf diese Vorgabe reagiert, fällt stark gegen die Visionen des Medienkünstlers Plessi ab.
Zum einen sind die Zitate der Choreografie aus der rhythmischen Sportgymnastik, dem Fernsehballett, aus Comedy-Sketchen und Ertüchtigungsfilmen der Weimarer Zeit so reich verwendet, daß diese saubere, parodistische Nettigkeit jede Assoziationsflut auf den eindimensionalen Weg der Unterhaltung zwingt. Zum anderen verhalten sich die metaphorischen Äußerungen Flamands zu seinen medienkritischen Auslassungen über die Bedrohung des Menschen durch die Übermacht der Technik wie ein Wahlkampf zur Politik.
Als Beispiel mag die zentrale Szene des Stückes „Connected Isolation“ reichen: Das vielköpfige Ensemble betritt rückwärts die Bühne, die Mehrzahl der Akteure mit flackernden Monitoren direkt vor den Augen. Bei einigen dahinter: ein Akteur ohne Mattscheibe vor dem Gesicht. Wir verstehen: Hinter manchem Videoten steht ein wirklicher Mensch. Dann beginnt ein Ausschnitt aus einem Bach-Konzert, und plötzlich bewegen sich die Videoten gar anmutig. Wir lernen: Die „richtige“ Kultur rettet den Mensch vor dem Konsum.
Vor derartig kurzgeschnittenen Bildern strotzt das Stück und das führt mit dazu, daß der auf allen Ebenen betriebene enorme Aufwand gelegentlich die Aura von Kunsthandwerk erhält. Ein brillanter Cellist (Jean-Paul Dessy), der Bach und Liget live spielt, gehört ebenso zu der High-End-Produktion, wie die wohl geführten Tänzer und die grandiose Bühnenarchitektur von Plessi, die Fernsehkammern und einen Duschraum versteckt. Doch all dieser Aufwand genügt sich in erstaunlichem Maße selbst und sperrt jegliche Verstörung, jede Frage, die Herausforderung an das Publikum aus.
Till Briegleb
Achtung : Die bisherigen Vorstellungen von Meredith Monk sind bereits ausverkauft. Wegen dieser großen Nachfrage gibt es am Sonntag um 18 Uhr eine Zusatzvorstellung ihrer neuen Produktion „Volcano Songs“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen