: Ein Streik ist höhere Gewalt Von Ralf Sotscheck
Mit dem Flugzeug gelangt man schnell ans Ziel – oder auch nicht. Es kommt mitunter auf die Fluglinie an. Alexis war mit ihrer Freundin nach Glasgow geflogen, um ihren Geburtstag zu feiern. Da die staatliche irische Fluglinie Aer Lingus auch im Winter die Maschinen gerne voll hat, gibt es jedes Jahr verschiedene Sonderaktionen. Wer zum Beispiel in einem bestimmten Supermarkt wochenlang Großeinkäufe tätigt, bekommt dafür Rabattmarken. Hat man fünfzig Stück zusammen, können zwei Leute zum halben Preis fliegen. So weit, so gut.
Doch die meisten Passagiere wollen irgendwann wieder nach Hause. Bei Alexis scheiterte das daran, daß Aer Lingus vor acht Tagen vorübergehend dichtmachte. Schuld hatte die Konkurrenz von Ryanair. Das ist eine Billigfluglinie, bei der die Gewerkschaften nichts zu melden haben. Weil die dreißig Gepäckabfertiger das ändern wollten, begannen sie einen Streik. Die Aer-Lingus-Mitarbeiter, allesamt gewerkschaftlich organisiert, gehen prinzipiell nicht an einem Streikposten vorbei. So war die Fluglinie lahmgelegt.
Alexis und ihre Freundin, beide arbeitslos, hatten ihre Urlaubskasse bis auf den letzten Penny aufgebraucht. Der Rückflug sollte erst drei Tage später gehen. Ob sie wenigstens einen Kaffee haben könnten, während sie überlegten, was zu tun sei? „Wir sind doch kein Wohlfahrtsunternehmen“, knurrte die Aer-Lingus-Angestellte. Den Flugpreis bekamen die beiden auch nicht erstattet: Ein Streik ist höhere Gewalt.
Alexis fand heraus, daß Ryanair von Prestwick nach Dublin flog und noch Plätze frei hatte. Da die Ryanair-Leute nicht in der Gewerkschaft sind, hatten sie keine Skrupel, an ihren eigenen Streikposten vorbeizumarschieren: Die Fluglinie, die den Streik verursacht hatte, operierte normal und machte ein Riesengeschäft mit der gestrandeten Aer-Lingus-Kundschaft.
Die Schwarzfahrt nach Prestwick klappte tadellos, aber dann wollte Ryanair die Tickets nicht herausrücken, weil Alexis' Kreditkarte überdehnt war. Erst als ihre Mutter telefonisch für sie bürgte, durften Alexis und ihre Freundin ins Flugzeug. Die Maschine war schon fast in Dublin gelandet, als der Pilot durchstartete und Richtung Cork abdrehte. Das ist zwar nicht ganz so weit von Dublin weg wie Glasgow, aber ohne Geld kommt man auch dort nicht weit. Auf halber Strecke überlegte es sich der Pilot aber noch mal und flog zurück nach Dublin.
In Flughafen herrschte heilloses Chaos. 20.000 Menschen warteten auf ihren Abflug. Diejenigen, die mit Ryanair gelandet waren, kamen vom Flughafen nicht weg, weil es weder Busse noch Taxis gab. Vorsichtshalber ließ das Flughafenpersonal alle im unklaren, Durchsagen gab es nicht. Die Schalter waren verwaist, doch davor hatten sich lange Schlangen gebildet: Die Leute hatten die Aer- Lingus-Telefone gekapert und riefen kostenlos den Onkel in Amerika oder die Nichte in Australien an. Im Ticket Office hatte jemand ein paar Kästen Limonade entdeckt, die jetzt verteilt wurden. Dann kam doch noch eine Ansage von Aer Lingus: Die Leute sollten ihren zollfreien Schnaps unverzüglich zurückgeben, da sie ja nun nicht abfliegen könnten. Das höhnische Gelächter soll man bis Cork gehört haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen