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■ Nebensachen aus Mexiko-StadtGürteltiere zahlen keine Getränkerechnungen

Die „Kulturrevolution“, die so mancher der 20-Millionen-köpfigen Monsterstadt Mexiko gewünscht hatte, ist zwar noch nicht so recht in Sicht. Besser geworden ist heute wenigstens schon mal die Verkehrsmoral. Nein, kein drastisch erhöhter Gummiverbrauch, sondern die Bürger von Mexiko-Stadt verkehren jetzt zumindest angeschnallt. Und das ebenso schlagartig wie massenhaft: wohin das Auge blickt, und dazu hat es in den zäh dahinfließenden Automassen reichlich Gelegenheit, weit und breit sieht es nur noch angegurtete Oberkörper am Steuer.

Selbst die Taxifahrer bemühen sich nun, ihre Gäste behutsam an die Neuerungen heranzuführen. „Ich weiß nicht, ob Sie so was mögen“, lächelte mich kürzlich einer im Rückspiegel an, „aber Sie können sich gerne dieses Ding da umlegen.“ Was angesichts der Tatsache, daß bei den Käfertaxen gewöhnlich der Beifahrersitz ausgebaut und die Hinterbank damit buchstäblich zum Schleudersitz wird, von echter Fürsorge zeugt.

Bis vor wenigen Wochen hatte ein zaghafter Hinweis auf die Sinnhaftigkeit einer derartigen Maßnahme noch mitleidige Seitenblicke geerntet und mußte ohnehin oft vor dem Mangel einer entsprechenden Vorrichtung kapitulieren. Heute tun die angeschnallten HauptstadtbewohnerInnen gerade so, als seien sie schon immer vergurtet durch die Straßen gekurvt. Dabei tun sie dies genaugenommen erst seit dem 16. Januar dieses Jahres. Denn an diesem Tag sind die Strafgebühren für ungeschütztes Fahren, knapp 400 Pesos (rund 80 Mark), in Kraft getreten.

Leider wurde dabei versäumt, die Straßenverkehrsordnung mit einer präzisen Definition des Sicherheitsgurts zu versehen. Während viele sich den Gurt der Bequemlichkeit halber ohnehin nur andeutungsweise um den Rumpf legen, haben andere die Rede vom „Gürtel“ wörtlich genommen und sich schlicht einen ausgedienten Lederriemen quer vor den Bauch gespannt. Gerüchten zufolge soll auch der Handel mit gewissen T-Shirts blühen, die vorne mit einem breiten Band in der Diagonale bedruckt sind.

Gemeinsam mit der Gurtlosigkeit werden ab jetzt noch eine Reihe anderer Untaten geahndet: so beispielsweise das Befahren von Einbahnstraßen und Bürgersteigen, der Handy-Plausch am Steuer sowie der etwaige Versuch, mit dem eigenen Fahrzeug „Personen außerhalb des Innenraums“ zu transportieren.

Zu alledem dürfte aber auch eine moralische Umschulung der Verkehrspolizei vonnöten sein. Hatten diese bislang vom ertappten Sünder in der Regel ein wenig „Getränkegeld“ verlangt, so werden sie neuerdings angehalten, nun auch wirklich ihre eigens angefertigten Vordrucke zur Anwendung zu bringen. Die Sache hat nur einen Haken: die Zahlungsmoral. Wie das Verkehrsamt vor ein paar Tagen mitteilte, stehen allein aus der Zeit des letzten Bürgermeisters noch knapp vier Millionen unbezahlter Strafzettel aus.

Wenn es der neuen Stadtregierung nun noch gelänge, die säumigen Verkehrssünder zum Zahlen der 900 Millionen Pesos, etwa 220 Millionen Mark, zu bewegen – das wäre dann schon fast eine echte Kulturrevolution. Anne Huffschmid

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