: Iraks Militärs mischten und züchteten alles, was tötet
■ Für den Weltfrieden stellt das irakische Waffenarsenal nach Meinung von UN-Experten keine Bedrohung dar. Gefährdet sind dagegen die Region – und die irakische Bevölkerung
US-Verteidigungsminister William Cohen beschwor die Apokalypse: Saddam Hussein verfüge über genügend Nervengas des Typs VX, „um alle Männer, Frauen und Kinder auf der Erdoberfläche auszurotten“, warnte er im November 1997. Doch Waffenexperten blieben gelassen. Tatsächlich sind schon 0,4 Miligramm VX tödlich, und nach Schätzungen der UN-Sonderkommission zur Zerstörung der irakischen Massenvernichtungsmittel (Unscom) haben die Iraker noch bis zu 200 Tonnen des Nervengiftes gelagert.
Doch sieben Jahre nach dem zweiten Golfkrieg stellt das irakische Waffenarsenal keine Gefährdung für den Weltfrieden mehr dar, wahrscheinlich aber für die Region und mit Sicherheit für die irakische Bevölkerung – so wie vor zehn Jahren in Halabdscha. UN- Experten gehen davon aus, daß das einst ambitionierte irakische Atomprogramm wirkungslos ist. Anders sieht es jedoch mit den chemischen und biologischen Waffen aus, der „Atombombe des kleinen Mannes“. Nach Informationen der Unscom sind bis heute Tausende Tonnen chemischer Grundstoffe und Zehntausende Tonnen von Chemiewaffenmunition aus dem irakischen C-Waffenprogramm verschwunden.
Schwierigkeiten dürfte den irakischen Militärs jedoch deren Einsatz gegen Nachbarstaaten oder gar Israel bereiten. Denn die meisten irakischen Mittelstreckenraketen und Abschußanlagen haben den letzten Golfkrieg und die anschließenden Aktivitäten der UN- Inspekteure nicht überlebt. Die Unscom hält es für möglich, daß der Irak noch „eine kleine Zahl“ von Scud-Raketen mit chemischen und biologischen Gefechtsköpfen in Betrieb hat. Jedoch fiel während der letzten Eskalation am Golf die Gelassenheit auf, mit der in Kuwait, Saudi-Arabien und Israel auf die angebliche irakische Bedrohung reagiert wurde. Der britische Independent berichtete gar, der US-Botschafter in Kuwait habe die die Anschaffung von Gasmasken für seine Belegschaft abgelehnt. Begründung: Iraks biologischen und chemischen Gefechtsköpfe seien „sehr ineffektiv“.
Neben den vermuteten C-Waffenreserven machen der Unscom vor allem die B-Waffen Sorgen. Im Irak gefundenen Dokumente belegen, daß irakische Militärs B-Waffen entwickelt und getestet haben. Von Anthrax bis Milzbrand wurde alles gezüchtet, was tötet. Es wurden versuchsweise Granaten mit biologischen Krankheitserregern abgefeuert, Tanks aus Flugzeugen abgeworfen und Sprühanlagen erprobt. Bei der Unscom wird vermutet, das als Testobjekte gefangene iranische Soldaten aus dem ersten Golfkrieg und mißliebige Iraker herhalten mußten.
Mittlerweile räumen auch die Iraker ein, B-Waffen entwickelt zu haben, behaupten jedoch, diese inzwischen zerstört zu haben. In UN- internen Berichten wird dagegen vermutet, Saddam Hussein habe die Komponenten für die Herstellung von B-Waffen verstecken lassen – vorzugsweise in Moscheen. Aus UN-Kreisen heißt es, in den Kellern der den Schiiten heiligen Schreine in Nadschaf und Kerbala erhielten Wissenschaftler Nährlösungen und Bakterienkulturen am Leben und warteten auf den Tag, an dem das internationale Embargo gegen den Irak aufgehoben wird und sie ihre tödlichen Forschungen ungehindert fortsetzen können. Thomas Dreger
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