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■ China: Die Wirtschaftsreformer brauchen auch in Zukunft Li PenDer Blitzableiter

Jeder zehnte Abgeordnete des Pekinger Volkskongresses stimmte gestern nicht für den neuen Parlamentschef Li Peng. Eine Protestnote der Parlamentarier hätte mehr Stimmen bedurft, gleichwohl signalisiert das Votum ein für chinesische Parteiverhältnisse seltenes Maß an Unzufriedenheit mit demjenigen, der in China wie im Westen für verantwortlich für das Massaker an den Studenten auf dem Tiananmenplatz im Juni 1989 gehalten wird.

Diese Unzufriedenheit mit Li Peng, der die letzten zehn Jahre als Regierungschef diente, ist nichts Neues, es hat sie immer gegeben. Nicht nur für ausländische Staatsbesucher ist der Mann einfach unsympathisch, sondern auch für den Teil der Chinesen,

der die Politik von weitem mitverfolgt. Li Peng wirkt steif und arrogant, hat eine angeblich superehrgeizige Frau, die auf allen seinen Reisen mit abgelichtet wird, und spricht die trockene, technokratische Sprache eines stalinistisch ausgebildeten Ingenieurs, der er

eben immer noch ist. Bei so viel öffentlich bekannten Lastern, die der Kerl mit sich herumträgt, sollte

man sich allenfalls darüber wundern, daß immer

noch 90 Prozent des Parteiparlaments für ihn stimmen. Schließlich gab es in der Vergangenheit auch schon kontroversere Abstimmungen.

Die Wahl zum Parlamentschef zeigt, daß Li Peng für die Pekinger Herrschaftsclique offenbar nach wie vor unersetzlich ist. Zwar hat er in seiner neuen Funktion nicht mehr die gleiche Machtstellung wie an der Regierungsspitze. Doch er bleibt mit der gestrigen Entscheidung des Volkskongresses die unanfechtbare Nummer zwei in Staat und Partei. Warum? Li steht in der innerparteilichen Debatte für keine nach außen hin erkennbare Fraktion. Trotzdem gilt er als Bremser der jetzt vom künftigen Regierungschef Zhu Rongji eingeleiteten Wirtschaftsreformen. Damit hält der ungeliebte Politiker seiner Partei eine Rückzugsposition offen, falls Zhu scheitert. Außerdem dient Li seinem Gönner Jiang Zemin als Blitzableiter.

Solange Jiang Zemin den Teufel Li Peng neben sich hat, wird er nicht selbst als solcher gebrandmarkt. Zudem rettet Li seine schlimmste Tat: Denn würde er schon heute aus der Politik ausscheiden, stände eine neue Tiananmen-Debatte in China fast unvermeidlich auf der Tagesordnung. Dafür aber haben die Wirtschaftsreformer, die heute die Regierungsgeschäfte von Li übernehmen, weder die Zeit noch die Kraft. Georg Blume

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