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"Schont das National-Eigentum"

■ Bei den Barrikadenkämpfen kam es nicht zu Plünderungen oder Zerstörungen. In Erwartung des Sieges begriffen die Revolutionäre das Kronprinzenpalais als "Volkseigentum" und stürmten es nicht

So brutal und blutig auch die Barrikadenkämpfe am 18. März 1848 waren, die Ausnahmesituation führte offensichtlich nicht dazu, daß es zu mutwilligen Zerstörungen oder gar Plünderungen kam. Die Chronisten der Kämpfe schildern geradezu kuriose Situationen, in denen es um Leben und Tod ging, privates Eigentum von den Barrikadenkämpfern aber nicht angetastet wurde.

So berichtet Adolf Streckfuß von einem Vorfall, bei dem eine Pfefferkuchenbude zum Barrikadenbau verwendet wurde. Als die Kämpfer die Bude umstürzten, fielen die Süßigkeiten auf die Straße. Die Jungen im Alter von 10 bis 14 Jahren, die sich am Barrikadenbau beteiligt hatten, hätten wohl gern die auf das Pflaster rollenden Kuchen, Zuckermandeln und andere Delikatessen genommen. Dazu kam es aber nicht. Sie packten alles sorgfältig in schnell herbeigebrachte Körbe und brachten die Körbe in einem Nachbarhaus in Sicherheit.

Noch kurioser waren die Ereignisse an einer Barrikade in einer Nebenstraße der Neuen Königstraße nördlich des Alexanderplatzes. Die Barrikade war einem ständigen Gewehrfeuer der Soldaten ausgesetzt, da an einer nahe gelegenen Straßenecke eine Gaslaterne brannte, die die Barrikade und deren Verteidiger beleuchtete. Zwei Kämpfer waren durch Schüsse bereits verwundet worden.

Die Barridenverteidiger diskutierten nun, diese Gaslaterne zu zerschlagen, um damit an der Barrikade besseren Schutz zu haben. Ein Arbeiter widersprach aber mit den Worten: „Wenn wir nun die Republik haben, so gehört das alles der Gemeinschaft, wir müssen bezahlen, was zerstört ist.“ Trotz Gewehrfeuers begab sich der Arbeiter zur Laterne, stieg auf eine Leiter und drehte den Hahn mit solcher Würde um, als ob er ein „republikanischer Beleuchtungsbeamter“ wäre. Die Straße war dunkel und damit die Barrikadenverteidiger keine gut sichtbaren Zielscheiben mehr.

Ähnliches wiederholte sich am Tag nach dem Kämpfen. Am 19. März zog eine Volksmasse zum Kronprinzenpalais Unter den Linden, als sich die Nachricht verbreitete, der verhaßte Kronprinz Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm I.) sei aus der Stadt geflohen. Kein Stein des Hauses des „Kartäschenprinzen“ sollte auf dem anderen bleiben, lautete die Parole. Vor dem Kronprinzenpalais standen aber zwei Bürger, die das Haus schützen wollten.

Die wütende Masse ließ sich tatsächlich beruhigen, als einer der Bürger rief „Schont das National- Eigentum, das Palais des Prinzen von Preußen wird hiermit zum National-Eigentum erklärt.“ Am folgenden Tag wiederholte sich der Tumult vor dem Palais. Nun brachten Bürger am Haus vier große Inschriften an: „Volkseigentum“, Nationalgut“ und zweimal „Eigentum der ganzen Nation“. Das Kronprinzenpalais wurde nicht gestürmt. Lediglich einige wenige Fälle von gezielten Zerstörungen als „Bestrafung“ von Volksverrätern sind bekanntgeworden. Der Laden des Hof-Handschuhmachers Wernike Unter den Linden unweit der Friedrichstraße wurde abgebrochen und das Inventar und die Ware in kleine Stücke gerissen. Anschließend wurde an die Tür des Ladens geschrieben: „So straft man einen Verräter“. Wernike war in Verdacht geraten, während des Kampfes Bürgerliche an das Militär verraten zu haben.

Ähnlich ging es Major a.D. von Preuß, dem man vorwarf, mehrere junge Leute in seine Wohnung gelockt zu haben, da man von den Fenstern seiner Wohnung besser auf die Soldaten schießen könne. Dann habe er aber seine Uniform angezogen und Soldaten gerufen, denen er befohlen habe, die jungen Leute zu erschießen.

Eine Volksmasse stürmte seine Wohnung, warf alle Möbel und Einrichtungsgegenstände auf die Straße und zündete alles an.

Bis auf wenige Ausnahmen war die Berliner Revolution preußisch korrekt. Jürgen Karwelat

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