: Erkenntnisort Küche Von Barbara Häusler
Um herauszufinden, mit was für einer Sorte Mensch man es zu tun hat, ist es keineswegs notwendig, sich in eine diesbezüglich aussagekräftige Extremsituation zu begeben: also mehrwöchige Segeltörns unternehmen, sich in einer Gebirgshütte vergraben oder einen ganzen Abend lang Canasta spielen. Um den wahren Wert eines Menschen – bzw. das ganze Ausmaß seiner Nichtsnutzigkeit – zu ermitteln, genügt es völlig, gemeinsam mit ihm zu kochen.
Wir unterscheiden vier Haupttypen: den einfachen Mitmacher, den kongenialen Mitmacher, den systematischen Reinschwätzer sowie den reinen Begleitredner. Die größte Gruppe bilden die Begleitredner. Sie sitzen meist trinkend, rauchend und schwatzend in der Küche herum. Im Idealfall bilden sie so ein angenehmes Unterhaltungsensemble für die Köchin. Leider haben Begleitredner oft ungenügende Vorstellungen von der Dynamik des Kochvorgangs und neigen dazu, ausgerechnet in dessen sensibelsten Momenten – dem Abschmecken oder dem Wenden zerfallgefährdeter Fische – ihre Geschichten zuzuspitzen oder empörte Fragen zu stellen.
Am seltensten ist natürlich der kongeniale Mitmacher. Er weiß, wovon Sie reden („Rehrücken zu spicken ist ein Verbrechen“), worauf Sie hinauswollen („Das regeln wir vorsichtig mit der Temperatur“), wann Sie was warum tun („Jetzt bepinseln wir das Tier noch mal mit flüssiger Butter“) und – sehr wichtig! – er billigt, wie Sie es tun („Genau so!“). Ein Traum – aber wie gesagt sehr, sehr selten.
Der einfache Mitmacher ist immerhin meist sehr willig, damit hat sich's dann aber auch schon. Kennzeichnend für diesen Typus ist die Atmosphäre eisiger Höflichkeit, die er in Ihrer Küche verbreitet: „Möchtest du die Möhren in Würfeln oder in Streifen?“ – „Glaubst du auch, daß das jetzt raus könnte?“ Er vermittelt einem ständig das unbehagliche Gefühl, daß er eigentlich auch ganz anders könnte (oder wollte), sich aber nur nicht traut.
Damit hat der systematische Reinschwätzer – sehr verbreitet! – nun überhaupt keine Probleme. Häufig getarnt als einfacher Mitmacher, kritisiert er noch jeden Handschlag, den Sie tun, gern im Ton interessierten Erstauntseins: „Ach – du schneidest Gemüse und Fleisch mit demselben Messer?“ (Sorry, I., das mußte mal sein); „Muskat? An Pfifferlinge? Da wäre ich nicht drauf gekommen“ (Hallo Papa!). Beim Einwand „Willst du die Tomaten wirklich so schneiden?“ ist mir mal der Kragen geplatzt, und ich habe gesagt, ich schneide die Tomaten, wie ich will. Die Entgegnung „Ich bin einige Jahre älter als du und habe schon mehr Tomaten...“ hat die Sache natürlich kein bißchen besser gemacht (Nix für ungut, E.). Der systematische Reinschwätzer neigt überdies zu hinterhältigen Übergriffen: Kaum drehen Sie sich um, stellt er die Temperatur kleiner, um auf Nachfrage zu behaupten, Nudeln müßten nicht sprudelnd kochen. Müssen sie aber doch!
Für Aufenthalt und Mitarbeit in fremder Leute Küchen gelten also folgende Regeln: Die Definitionsmacht hat der Küchenbesitzer. Kritik ist tabu, fällige Katastrophenverhinderungsversuche sind möglichst beiläufig vorzutragen und durchzuführen. Und: Das obligatorische Nachsalzen des Nudelwassers erfolgt ausschließlich in Abwesenheit des Kochs!
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