Aus der Opposition in den Ministerrock

■ Siebener-Ausschuß zur Vorbereitung der Nationalversammlung ernannt. Demokraten und Republikaner düpiert. Heinrich von Gagern wird Minister und tritt für konstitutionelle Monarchie ein

Heidelberg, im März 1848 (taz) Auf der Heidelberger Volksversammlung am 5. März 1848 konnte man einem für diese Märztage exemplarischen Kampf der Giganten beiwohnen: der revolutionäre Friedrich Hecker gegen den eher konservativen Heinrich von Gagern, demokratische Republik gegen konstitutionelle Monarchie, die sogenannten Ganzen gegen die sogenannten Halben. „Einladungen waren nach allen Richtungen an die Männer ergangen, welche als die entschiedensten Führer und Leiter der bisherigen Bewegung galten“, glaubte Hecker noch im Vorfeld der Veranstaltung. Doch womöglich hat er den Kampf um die Republik schon jetzt verloren.

Friedrich Hecker, Jurist und Abgeordneter in der II. Badischen Volkskammer, versteht es wie kein Zweiter, zugleich inner- und außerparlamentarisch zu agieren. Zusammen mit seinem Kampfgefährten Gustav von Struve gründet er inzwischen überall in Baden revolutionäre Vereine nach jakobinischem Vorbild. Die Anwesenheit von 20.000 Demonstranten machte es möglich, daß er am 1. März das revolutionäre „Mannheimer Sofortprogramm“ in der Kammer durchsetzen konnte. Und deshalb glaubten Hecker und Struve, daß auch die Heidelberger Volksversammlung das „Mannheimer Sofortprogramm“ verabschieden würde: Pressezensur aufheben, Karlsbader Beschlüsse außer Kraft setzen, das Militär auf die Verfassung vereidigen, die Volksbewaffnung beginnen, die Juden gleichstellen, Geschworenengerichte einrichten, alle Reste des Feudalwesens aufheben. Dann die Fürstenhäuser entmachten, die Nationalversammlug einberufen — und die Republik ausrufen.

Dagegen erhob sich in Heidelberg Heinrich von Gagern, Landtagsabgeordneter in Hessen- Darmstadt, und wohl der kommende Führer der konservativ-liberalen Bewegung. Unterstützt von Professoren und Beamten forderte er überraschend die konstitutionelle Monarchie respektive das Kaisertum für Deutschland. Die Verabschiedung eines Programms lehnte er schroff ab.

Offenbar hatten die Konstitutionellen mehr Anhänger nach Heidelberg mobilisieren können als die Demokraten und Republikaner. Die Mehrheit der Versammelten folgte dem Vorschlag des Heinrich von Gagern, einen „Siebener-Ausschuß“ von sieben Männer zu bilden, der die allgemeinen Grundlagen für die zukünftige Nationalversammlung festlegen und Bewegungsmänner aus allen deutschen Staaten zu einem Vorparlament Anfang April nach Frankfurt einladen soll.

Es sei „kein offener und tathbereiter Republikaner“ in diesen Siebener-Ausschuß gewählt worden, empörte sich Hecker nach der Veranstaltung. Das Siebener-Programm wolle man offenbar „demnächst jeder Versammlung vorlegen“ und damit „die Monarchie hereinescamotieren“. Tatsächlich hat von Gagern damit indirekt schon jetzt eine Entscheidung getroffen: für die konstitutionelle Monarchie.

Warum nur? Immerhin gehörte auch Heinrich von Gagern einstmals zu den profiliertesten Oppositionellen. Den Grund für seinen Sinneswandel erfuhren Demokraten und Republikaner am Rande der Versammlung: Gagern war am 5. März bereits zum hessischen Minister ernannt worden. Er „schlüpfte noch am Abend des gleichen Tages aus der Opposition in den Ministerrock“, erregte sich Hecker.

Friedrich Hecker war ein Jahr zuvor noch für Gagern in Hessen in den Wahlkampf gezogen und hatte in Zeitungsartikeln Position für den vermeintlichen Kampfgefährten bezogen. Die Spaltung der Oppositionsbewegung des Vormärz ist in Heidelberg für alle sichtbar vollzogen worden. Klaus-Peter Klingelschmitt