piwik no script img

Acht Monate Zuchthaus für ein Lachen

Die Exzesse des Pöbels haben ein Vorspiel: Im April 1847 kam es in den Straßen von Berlin zu Kartoffelunruhen und Weibercrawallen. „Bezahlt wird nicht!“ hieß die Parole. Der Prinz ließ die Stadt generalstabsmäßig besetzen  ■ Von Ute Scheub

Berlin, im März 1848 (taz) – Mit großer Besorgnis hat Staatsanwalt Wentzel auf die jüngsten Volksaufläufe in Berlin reagiert. „Wenn man den Exzessen des Pöbels und namentlich seiner Weiber nicht schnellstens Einhalt gebietet“, so Wentzel im Gespräch mit der taz, „so werden wir in kürzester Zeit bar jeder öffentlichen Zucht und Ordnung dahintreiben.“

Der Staatsanwalt beim Königlichen Kammergericht sieht sich „bis ins Detail“ an die Kartoffelunruhen und Weibercrawalle erinnert, die Berlin vor knapp einem Jahr, im April 1847, erschütterten. Staatsanwalt Wentzel hält sich zugute, daß in den folgenden Schnellprozessen 86 von 107 Angeklagten bestraft wurden. Zu seinen Erfolgen zählt er die Verurteilung einer gewissen Frau Thiele. Sie hatte sich der dreifachen Aufforderung eines Unteroffiziers, die Belagerung eines Bäckerladens aufzugeben, mit einem dreifachen höhnischen Lachen widersetzt. Dafür erhielt sie acht Monate Zuchthaus.

„Wenn Weiber zu Furien werden, ist höchste Gefahr im Verzuge“, erinnerte Wentzel an den Beginn der Kartoffelunruhen. Zuerst, am 17. April, war es nur ein kleiner Crawall auf dem Potsdamer Wochenmarkt gewesen. Wegen zweier aufeinanderfolgender Mißernten waren die Kartoffeln rar und der Hunger groß geworden; eine Bauersfrau beabsichtigte, aus diesem traurigen Umstand Profit zu schlagen, und setzte den Preis auf drei Groschen für die Metze hinauf. Das machten ihr mehrere Weiber zum Vorwurf: Von den wenigen Kartoffeln zum teuren Preis bliebe gar nichts mehr übrig, wenn sie geschält würden. Die Bäuerin aber antwortete, freilich nicht eben fein: „Nun, so stampft sie euch mit den Schalen, so habt ihr Futter für euch.“ Schon durch den hohen Preis erbittert, fielen die Weiber über sie her und warfen sie samt Kartoffeln und Eiern in den Rinnstein. Ähnliche Szenen wiederholten sich am 21. und 22. April auf dem Berliner Molkenmarkt, dem Belle-Alliance-Platz, dem Dönhoffsplatz, am Halleschen und Oranienburger Tor, am Spittel- und am Gendarmenmarkt. Nunmehr verlangten die Hökerinnen sogar schon vier oder fünf Groschen die Metze Kartoffeln. Die Einkäuferinnen sahen sich um die tägliche Mahlzeit für Mann und Kinder betrogen und gerieten in heftige Wut. Nicht wenige Kartoffelhökerinnen sahen sich gezwungen, in nahe liegende Läden zu flüchten. Den Ladenbesitzern erging es dabei nicht selten wie dem Bäckermeister Blumberg in der Charlottenstraße, der einer Verfolgten Schutz bot. Die wütende Menge bombardierte seinen Laden mit Steinen und tat sich an seinem Brot gütlich.

Mit der Parole „Bezahlt wird nicht!“ fiel eine Frau am Molkenmarkt auf. „Heut' wird alles frei gekauft!“ rief sie lautstark, bis sie ein Gendarm am Arm packte: Wenn sie nicht sofort ruhig sei, müsse er sie nach dem „Ochsenkopfe“, dem hiesigen Arbeitshaus, bringen. Die Frau erwiderte: „Desto besser, dann bekomme ich doch einmal satt zu essen, zu Hause habe ich so nichts!“ Sie wurde hierauf verhaftet und vor den Polizeirichter gebracht. Die Angeklagte, Wilhelmine Apollonia Gr., geborene R., brach über ihre traurige häusliche Lage in Tränen aus. Zu ihrem Glücke wurde sie von der Anklage entbunden.

Als gen Abend die Arbeiter und Gesellen von ihrem Tagewerk heimkehrten, wuchs die Menschenmenge immer mehr an. Milde Frühlingslüfte begünstigten das Umhertreiben. Geschrei; Tumult; das Militär erschien in größeren Massen und trieb die Menge mit gefälltem Bajonett vorwärts. Bäcker- und Fleischerläden wurden gestürmt, selbst ein Porzellanladen wurde zertrümmert. Kuchen und Geschirr der edelsten Konditoreien landeten auf der Straße. Unter den Linden gingen die Fenster von Hotels zu Bruch, auch das königliche Schloß verschonte der Pöbel nicht: Das Arbeitszimmerfenster des Prinzen von Preußen ging in Trümmer.

Der Prinz wußte sich zu rächen. Als das ausgelassene Volk nächsten Tags weiterfeiern und die Crawalle fortsetzen wollte, ließ er die Stadt generalstabsmäßig besetzen. Unter Aufbietung sämtlicher Kräfte der Garnison, mit Ausnahme der Artillerie, wurde der Pöbel samt der enthemmten Weiber wieder in den Griff genommen.

„Die Kartoffeln müssen billig bleiben. Sonst haben wir bald eine Revolution“, sorgt sich Staatsanwalt Wentzel. Am 23. April 1847 kosteten sie wieder zweieinhalb Groschen die Metze. Per Anweisung des Magistrats.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen