: Endstation März-Friedhof
■ Serie: Orte der Revolution (Folge 13): Mehrere zehntausend BerlinerInnen nahmen am Trauerzug für die Barrikadenkämpfer zum Friedhof der Märzgefallenen im Friedrichshain teil
Der Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain war für viele Barrikadenkämpfer von 1848 die revolutionäre Endstation. Am 22. März 1848 wurden die Särge der 183 getöteten Barrikadenkämpfer in einem bewegenden Trauerzug, an dem mehrere zehntausend – vielleicht sogar hunderttausend – BerlinerInnen teilnahmen, vom Gendarmenmarkt am Schloß vorbei vor die Stadttore auf den neu geschaffenen Friedhofsplatz am Rande des Friedrichshains getragen.
Ein Beerdigungskomitee hatte diesen Ort ausgesucht. Der Vorschlag des Komitees, die getöteten Barrikadenkämpfer gemeinsam mit den Soldaten zu Grabe zu tragen, war am heftigen Widerspruch der unterbürgerlichen Schichten und von Teilen der Bürgerschaft gescheitert. Doch auch die Militärführung hatte wohl keinerlei Interesse an einer solchen gemeinsamen Beerdigung, denn sie wollte den Eindruck vermeiden, die Armee habe sich auf den Boden der verhaßten Märzrevolution gestellt.
Nach der Grabpredigt des evangelischen Pfarrers Karl Sydow ergriff an den offenen Gräbern der spätere Vorsitzende des demokratischen Klubs, Georg Jung, das Wort und erinnerte – ganz im Gegensatz zu Sydow, dessen zentrale Botschaft die „Versöhnung“ zwischen den Kämpfenden war – daran, daß die versprochenen politischen Rechte keineswegs gesichert seien.
„Auf denn, so erwachse aus unserem Blute, statt des wilden Rachegeistes, die Rose der Freiheit und Verbrüderung! ... Noch ist sie am Keimen und man erwartet sehnsuchtsvoll ihre Blüte. – Noch sind euch die wichtigsten Rechte, wie das allgemeine Wahlrecht, Sicherheit der Person vor der Gewalt der Polizei, freie Vereinigung, freie Versammlung nicht gewährt, noch sind Leute eure gesetzlichen Vertreter, die nicht euer Wille, sondern ihr Privilegium, der zufällige Umstand ihrer Geburt, ihres Besitzes und ihrer Hantirung dazu machten. Wir konnten euch nur das Anrecht auf diese hohen Güter vermachen und den Weg dazu anbahnen.“
Mit dieser richtungweisenden Gedenkfeier auf dem Friedhof war der Grundstein für eine langjährige Tradition demokratisch gesinnter Kräfte gesetzt. Die Versammlungen auf dem Friedhof der Märzgefallenen wurden zu Demonstrationen gegen den preußischen Obrigkeitsstaat. Neun Wochen nach der feierlichen Beerdigung war es am 4. Juni 1848 das erste Mal soweit, daß an den Gräbern an die Ideale der Revolution erinnert wurde.
Vertreter der Arbeiterschaft und der Studenten ergriffen vor mehreren tausend Menschen das Wort. Friedrich Wilhelm Held, der Herausgeber der neuen Tageszeitung Locomotive, sagte: „Der wahre Segen der Revolution soll noch kommen, und er wird kommen. Eine im Finstern schleichende Partei hat es gewagt, unsere glorreiche Revolution ... einen Straßentumult, einen Aufruhr, eine Emeute zu nennen ..., und wer ist diese Partei ..., es ist die Reaktion. Als wir vor neun Wochen diese unsere Toten begruben und hierbei das Heft der Revolution noch in Händen hielten: da zogen sie vor unseren Toten noch ehrerbietig den Hut ab; und jetzt, wo sie durch ihre heimlichen Intriguen uns das Heft der Revolution entwunden und sich in den Besitz der Gewalt gesetzt zu haben meinen, jetzt wagen sie es, dieselben Toten zu beschimpfen.“
Ein Jahr später unter dem Belagerungszustand bot der Friedhof einen ganz anderen Anblick. Er war militärisch umlagert. Die Handwerker- und Arbeitergruppen wurden am Abend von der Kavallerie angegriffen. Es kam zu Steinwürfen und Barrikadenbau. In den folgenden Jahrzehnten spezialisiert sich die preußische Polizei auf die Kontrolle der Kranzschleifen. 1908 zum Beispiel kamen am 18. März etwa 12.000 Personen auf den Friedhof. Insgesamt wurden 31 Kränze niedergelegt. 60 Schleifen fielen der politischen Zensur zum Opfer.
An diese obrigkeitliche Zensurtradition knüpfte zu DDR-Zeiten auch die moderne Staatssicherheit an. Als Ende der achtziger Jahre auf dem Friedhof der Märzgefallenen regelmäßig aus West-Berlin eine Delegation der „Aktion 18. März – für einen gemeinsamen Nationalfeiertag in Ost und West“ auftauchte, hatte die Stasi nichts Besseres zu tun, als die Schleifen unter den Kränzen zu verstecken. Auf den Kranzschleifen stand die gefährliche Parole: „Für demokratische Tradition und revolutionären Geist“. Wenige Tage nach dem 18. März wurde der Kranz mit dem staatsgefährdenden Text abgeräumt. Jürgen Karwelat
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