: Lieber Sperma sein als Kritiker
■ Geboren aus dem Geist von Thomas Bernhard, mit einem Alter ego von Hellmuth Karasek: "Der Liebhaber" im Stükke Theater, eine Inszenierung von Geradjan Rijnders, dem Guru und Enfant terrible der niederländis
Der Mann heißt Liebhaber, trotzdem ist er verzweifelt. Klar, wenn einer zwischen engen Kinoklappsesseln und unter zwei überdimensionalen Bulldoggengemälden leben muß. Das Sofa, die Küche, die Garnitur aufblasbarer Sessel – Bühnenbildnerin Alke Brinkmann hat alles zwischen Klappstühle gepackt. Schmiedeeisern schmettert's im Bühnenhimmel: „Edle Menschen willkommen.“ Aber das ist's nicht, weshalb Liebhaber (Rüdiger Götze) ausdauernd sein „Fuck, fuck, fuck“ intoniert, als wär's ein heiliges Beschwörungswort.
Auch nicht die Gattin (Xenia Fitzner), die im Negligé unterm Leopardenfellmantel beständig durch den Sperrsitz schnürt und mit imponierender Ausdauer geistige Getränke in sich hineingießt. Und nicht das Kind (Bridge Markland), das wichst und fixt und Muttern fickt, bevor es sie hinmordet. Dennoch leidet Liebhaber nicht an seiner Familie, er leidet am Theater. Denn Liebhaber ist Kritiker, einer zumal, der das Drama des Lebens in der Kunst sucht, aber nur „Jauchenüberfluß“ findet.
„Der Liebhaber“ ist ein Stück von Gerardjan Rijnders, dem Leiter der Toneelgroep Amsterdam, Enfant terrible und Guru der niederländischen Theaterszene. Ein Selbstporträt des Autors aus dem Geiste des Verdammungssymphonikers Thomas Bernhard. Eine grobe Erregung über die notorische Exhumierung „fünf Stunden dauernder Tschechow-Leichen“. Theater, das vom Theater handelt – auch das Stükke Theater hat sich jetzt entschlossen, im bequemen Sessel der Selbstbezüglichkeit Platz zu nehmen.
Regisseur Klaus Schultze hat die fragilen Beziehungen der (fast) stummen Figuren von Mutter und Kind zu der Monologmaschine Liebhaber nahezu ganz gekappt. Eine Begegnung findet nur einmal statt, wenn Vatern sich wohlig stöhnend unter Muttis Schlägen mit dem Stoffpanda windet. Da könnte das Kind statt eines Fernsehers und eines Radios Dutzende Gerätschaften mit der Baseballkeule zertrümmern, Papa würde nicht einmal aufmerken. Unberührt von der Familienhölle, träumt er davon, die Kritikasterei hinzuschmeißen, um hinfort nur mehr Sperma zu sein oder wenigstens „ein Brief, den jemand gierig aus dem Umschlag reißt“.
Was die Aufführung dennoch ungewöhnlich macht, ist der von Claudia Schütz' typengenauem Kostüm und Rüdiger Götzes physiognomischer Ausstattung heraufbeschworene Eindruck, bei Liebhaber handele es sich um ein Alter ego von Hellmuth Karasek. Die Imagination, der Literaturplaudertasche bei der Verzweiflung über eine Theaterkunst zuschauen zu dürfen, die den Verhältnissen seines Privatlebens aufs Haar gleicht, befriedigte die niedrigsten Instinkte und machte den Abend ausgesprochen amüsant. Nikolaus Merck
„Der Liebhaber“ von Gerardjan Rijnders, bis 19.4., Do.–So., 20.30 Uhr, Stükke Theater, Hasenheide 54, Kreuzberg
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