Es riecht nach Mythen und Fürzen

■ Jenseits von Bitterfeld: Jeff Torringtons Roman über das „Blechinferno“ der Autoindustrie

Kaum setzen wir an der Hand Torringtons den Fuß in die Montagehallen der amerikanischen „Centauer Cars“-Niederlassung in Chimeford (GB), schon wird uns ganz blümerant. Uns jedenfalls, die wir in den Feueröfen der Produktion gesintert wurden (he, he!). Uns Helden von gestern. Wir kennen jede Figur, die da herumwuselt, jede Stimmung, jeden Geruch. Es ist ein Erinnern wie an Kindergeburtstag, Kasernenhof und Klapsmühle gleichzeitig. Da riecht es nach Mythen und Fürzen. Da herrschen stets eine leichte Hysterie und Überdrehtheit und der pure Haß. Die Hysterie rührt aus den groben und handgreiflichen, autistischen oder clownesken Taktiken zur Bewältigung der Zwangsintimität, zu der Fremde im industriellen Produktionsbetrieb verkuppelt werden. Der Haß rührt aus der Zurichtung und Unterdrückung der Mitglieder der Klasse im Widerspruch zwischen Produktion und Aneignung. Und da dieser Widerspruch nie aufgehoben, höchstens in Heldenzeiten und -taten der Produktion kurzfristig vergessen werden kann, liegt über allem ein schwerer Hauch kindischer Regression.

Kaum setzen wir den Fuß in die Montagehallen, überfällt uns Wehmut nach dem Erlebnis kollektiver produktiver Arbeit und schwer bombende Terroristenlust gleichzeitig. In Chimeford nun verschärfen sich beide Seiten oder Seelen im Busen durch britische Eigenart: Klassenbewußtsein, störrisch bewahrt in der militant-marxistischen Abteilung „Sing-Sing“, subversive Kauzigkeit, ausgedrückt in der Underground-Werksschrift Zurückgetreten – Eine Puplickazion des Lachanarchismus und Sportivität, verwirklicht in einem hohen organisatorischen Niveau der Werksdiebstähle. An der Hand von Torrington verstehen wir einmal mehr das eherne Werksgesetz: Je dreckiger und verkommener ein Arbeitsplatz, desto dicker die Titten der drumherum aufgehängten Auffaltmädels.

Zurückgetreten nimmt sich dieses Problems unter der Schlagzeile „Der Mann am Arbeitsplatz braucht Voyeurinnenschutz“ an: „Diverse Klagen männlicher Arbeiter, daß ihnen die Kolleginnen bei der Arbeit auf dem Hochband in die Hosenbeine schauen, werden nun untersucht. Wie ein errötender Mann bemerkte: ,So was von Stielaugen hab' ich noch nicht erlebt. Die schrecken vor aber auch gar nix zurück, nur um 'ne haarige Wade zu sehen‘...“

Ein tumultuöser Besuch japanischer Interessenten wird so kommentiert: „Man Japst Nach Luft... Ein Besucher, bei dem die Sonne besonders rasch aufging, ist der Anführer der Delegation Ihara Tokugawa. Er verständigte sich durch einen Dolmetscher und einen Mundvoll kaputter Zähne und bemerkte, daß die lebhafte Reaktion der Arbeiter auf den Besuch ihm ,Tlänen del Dankbalkeit in die Augen getlieben hat‘. Einer aus Tokugawas Reisegruppe wartet, wie man hört, auf einen medizinischen Eingriff im Darmtrakt, eine Nikontomie, in der Hoffnung, seine Kamera zurückzubekommen... Da können wir nur sagen: Au kwai!“

Hellwach sind selbst die ausgelaugten Burschen von der Nachtschicht, wenn sich herumspricht, daß ein „Goldfasan“ am Haken hängt, ein Vorzugsauto für einen Vorstandsspezi, angeblich für irgendeinen Salon auszustatten. Vollgeschissen und zerkratzt wird es vom Band geschoben. So sollte es überall sein.

Ungerührt indes fließt das Fließband durch die Hallen, und links und rechts sehen wir wackere Männer im Herzkasper dahinsinken. „Die Witwe“ nennen sie hier das Band, weil ihm die Männer wegsterben. Ja, das Zweigwerk in Chimeford ist amputiert, seit man ihm die Motorenproduktion wegnahm, es ist unbequem und angegammelt. Aber das Band ist so unersättlich, daß den Kollegen die Hinterbliebenen-Kollekte sauer aufstößt.

Die Hoffnungen, die sich die Arbeiter machten und machen ließen, während aus den Laufkatzen schon das Ende herabkicherte, werden zerstieben. Die Produktion wird in ein modernes Werk nach Spanien verlegt werden. Der „goldene Handschlag“ wird die Aufregung in Grenzen halten. Mit der neuen psychologisch betreuten Kleingruppenarbeit hochmotivierter, sich selbst wegrationalisierender Arbeitspartner, angeleitet von herrlichen Die-über-die-Kohlen- liefen-Managern aus den kostbaren Höhler-Seminaren, wird alles ganz anders werden? Im Läbe net! Hoffentlich gibt es dann noch einen Jeff Torrington, der uns an die Hand nehmen und uns die Wahrheit über die Produktion und die in ihr Verschlissenen so zum Lachen und Knirschen und Trauern zeigen kann. Wilhelm Pauli

Jeff Torrington: „Blechinferno“. Roman. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998, 223 Seiten, 36 DM