: "Schlimmstenfalls privat"
■ Wie vermeidet man Kitsch bei der Darstellung von Wirklichkeit? Ein Gespräch mit dem Berliner Künstler Johannes Kahrs, dessen Zeichnungen in der heutigen Literataz zu sehen sind
taz: Ihre Zeichnungen gehen vor allem auf Vorlagen aus Zeitungen zurück. Fällt es Ihnen schwer, Bilder aus den Medien auszuwählen, die selbst schon im übertragenen Sinn Wirklichkeit darstellen und für ein bestimmtes Thema symbolisch benutzt werden?
Johannes Kahrs: Ich suche keine Bilder, weil ich nichts illustrieren will. Eher stellt sich die Frage, wie man auf Bilder bzw. Bildprobleme aufmerksam wird und wo sie einen überraschen. Ich sehe diese Bilder dann auch nicht als funktionale Verweise, sondern als abstrakte Information.
Das Foto in der Zeitung wird durch das Ereignis erst aktuell. Aber über diese Wertung entscheiden die Medien selbst, indem sie zum Bild den Text setzen. Bleibt Ihre Auswahl nicht von dieser Art Willkür abhängig?
Nein, weil ich eben keine Bilder zu einem bestimmten Thema suche. Deshalb stammen sie ja auch aus unterschiedlichen Quellen: eine Biographie über Steve McQueen, eine Dokumentation über die Systematik deutscher Konzentrationslager; dann gibt es diverse Zeitungsausschnitte, dazu Pflanzenbilder oder das Porträt von einem Mädchen mit Tätowierung, das ich selbst aufgenommen habe. Das Ganze wechselt ständig.
Werden die Aufnahmen nach der Nähe ausgewählt, die man in diesem Augenblick zu den Figuren empfinden soll?
Nein, da ist nicht ein Bild dabei, das mich berührt. Deshalb kann man sie in der Überarbeitung als Zeichnung alle gleichmachen. Umgekehrt wollte ich mit einem Foto von Wei Jingsheng arbeiten, weil seine Geschichte überwältigend ist: Da wird dieser Mann nach 18 Jahren aus dem Gefängnis entlassen und will sich weiterhin engagieren, aber niemand hört ihm im Grunde mehr zu, weil die Zeit während seiner Haft fortgeschritten ist und die Verhältnisse sich geändert haben. Da war meine innere Anteilnahme so groß, daß ich das Bild nicht machen konnte.
Weil sonst Kitsch entstanden wäre?
Ja, womöglich Kitsch, also völlig uninteressant, flach und schlimmstenfalls privat.
Zwingt Sie die distanzierte Beobachtung zur Reduktion dessen, was auf den Fotos erscheint?
Formal gesehen schon. Wenn man etwa drei verschiedene visuelle Probleme in einem Bild hat, wird die Sache chaotisch. Tatsächlich verstärke ich diese Probleme, wenn ich das Foto nachzeichne. Es gibt da noch ein anderen Grund, und der liegt im vermeintlichen Naturalismus. Ich habe Aktzeichnen nie gemocht, weil man dabei einen Körper in seiner Funktion begreifen muß. Ich bin aber immer gerne ins Museum gegangen und habe dort Menschen abgezeichnet. Ich male da ja keine Nase, sondern ich male eine helle Fläche ab, die man danach in der Betrachtung wieder als Nase zusammensetzt. Von der Fläche her ging das ganz gut, nur die Muskeln sahen meistens völlig deformiert aus. Aber so sah es richtig aus, als Bild oder als Zeichnung vom Bild einer Frau, aber nicht nach deren Anatomie.
Gefällt Ihnen deshalb der Umgang mit Bildern aus Massenmedien, weil man deren Herkunft und Funktion schon so gut kennt, daß den abgebildeten Sujets die Verfremdung nichts mehr ausmacht? Die Technotänzerin, die Krankenschwester, der Minister – alles sind bekannte Typen.
Ja, und deswegen kann man das Sujet auch verlassen und darüber hinausgehen. Du kannst etwa die Konturen der Personen verändern oder das Licht, so daß die Situation fremd wird.
Bei Ihrem Bild „Erhard“ bleibt man an dem extrem schwarzen Anzug hängen, der wie eine kantige geometrische Fläche wirkt, irgendwie leblos.
Andererseits ist es diese schwarze Fläche, die das Bild zusammenhält.
Die Zeichnung kehrt das Entwicklungsverfahren der Fotografie um. Im Foto muß man verdunkeln, in der Zeichnung muß man Raum für Licht lassen. Wie wirkt sich das auf den Prozeß des Zeichnens aus?
Vor allem läßt man im Akt des Zeichnens Dinge verschwinden. Die Flächen werden immer tiefer schwarz, man muß genau entscheiden, wieviel von einem Detail sichtbar bleiben soll – sonst ist es weg. Ich arbeite mit den Fingerkuppen, und insofern ist da eine bestimmte Breite schon vorgegeben, die keine weitere Verfeinerung zuläßt. Man blendet alles aus, was kleiner als die Fingerkuppen ist, und löst jede visuelle Information entweder in Schwarz oder Weiß auf.
Dabei scheinen einige Arbeiten das Verhältnis zwischen Ungenauigkeit und Detailversessenheit gerade zu betonen.
Nehmen wir zum Beispiel den Urwald: Das „große Ganze“, auf das sich die Darstellung bezieht, zerfällt bei genauer Betrachtung in lauter schwarzweiße Konstrukte. Dadurch erhält man aber eine Oberfläche, auf der dieser Urwald nicht als Illusion eines dreidimensionalen Durcheinanders sichtbar wird.
Die Isoliertheit der einzelnen Sujets macht die Zeichnungen aber auch sentimental. Liegt es daran, daß man mit den dargestellten Situationen gerne eigene Erinnerungen verknüpfen würde und es doch nicht kann?
Viele Motive lassen sich nur über die dazugehörige Geschichte erklären, aber dann kann ich kein Bild mehr herauslösen – Barschels Tod in der Badewanne war so ein Fall, bei dem sich das Bild des scheinbar seelenruhig schlafenden Mannes nur über den konkreten Vorfall erschlossen hat. Dagegen kann ich Egon Bahr in einem Moskauer Hotel während der Ost- West-Verhandlungen trotz der angespannten Situation damals nehmen, weil der ganze Komplex schon so weit historisch zurückliegt, daß sich die Geschichte dazu praktisch aufgelöst hat. Jetzt hat man es beim Bild mit einer Projektionsfläche zu tun, die mit weiteren Bildflächen wieder zur großen Erzählung verknüpft werden kann. Aber daraus entsteht meiner Meinung nach nur ein Spiegelkabinett, in dem jedes Ereignis wie ein Relikt erscheint, außerhalb seiner Zeit, und von allen identitätsstiftenden Einflüssen, Moden oder politischen Intentionen entkleidet – ein Zeichen, das wieder bei Null angekommen ist. Umgekehrt ist etwa der schreiende Mann aus Pasolinis „120 Tage von Sodom“ auf einem Bild von mir zugleich aggressiv, leidend und doch nichts anderes als eine Maske mit drei, vier Löchern drin.
Wie geht die Emotionalität solcher Szenen mit der kühlen Mechanik des Abzeichnens zusammen?
Die Voraussetzung ist anders: Ich entscheide mich für ein Bild und nicht für die Situation, die darauf abgebildet ist. Es hängt damit zusammen, wie man auf Dinge reagiert, die einen umgeben – und ich würde sie vermutlich eher betrachten, als daß ich mich in den Fortgang einmischen würde. Für mich gibt es da ein Beispiel: Kann man darstellen, Krebs zu haben? Nein. Aber in dem Wissen, es nicht darstellen zu können, fand ich es zumindest einen Versuch wert, es auszuprobieren. Am Bild scheitert man, es bleibt ein visuelles Konstrukt, weil die Darstellung so weit getrennt ist von der Wirklichkeit. Deshalb arbeite ich mit Vorlagen: Wenn mich etwas an einem Bild interessiert, was hinter dem Sichtbaren noch einen Überraschungsmoment besitzt, dann benutze ich es, egal ob das ein Foto von Irving Penn ist oder ein Nachrichtenfoto von dpa. Tatsächlich hat man doch etwas ganz Banales: Ein Mann, der weggeht, Figuren vor einer Landschaft, ein Mann am Tisch. Daran ist nichts spektakulär, alles ist nur formal sehr streng gebündelt. Auf dieser Ebene liegen die Probleme anders als in der Fotografie: Der Fotograf kann nicht über alle Informationen entscheiden, die sein Bild enthält. Er kann sich nicht über jeden der 5.000 Lichtpunkte klarwerden. Aber ich wähle jeden einzelnen Lichtpunkt aus. Das sind die bildnerischen Probleme, und die muß ich mit den Zeichnungen realisieren. Ich muß mich damit beschäftigen, wieso dieser Mann namens Erhard auf dem Foto schwebt, und wie ich das in der Zeichnung vermitteln kann. Interview: Harald Fricke
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