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Im Cora-Kosmos

HipHop als Religion: Die dienstälteste Deutsch-Rapperin Cora E. läßt nicht von der reinen Lehre. So brauchte das erste Album eine Dekade – eine Passionsgeschichte  ■ Von Thomas Winkler

Auch die Besten versagen. Selbst die Tapfersten fallen. Und wer noch einen augenfälligen Beweis bräuchte, welchen weiten Weg HipHop in Deutschland im letzten Jahrzehnt zurückgelegt hat, braucht nur einen Blick zu werfen auf Cora E. Auf wen? Cora wer? Ja, genau, so weit war der Weg.

Damals war das so: „Könnt ihr mich hörn?“ rappte Cora E. 1993, und der deutsche HipHop hatte eine frühe Hymne. Heute ist das so: Cora E. hat ihre Ausbildung zur Krankenschwester in der psychiatrischen Abteilung der Uni-Klinik Heidelberg erfolgreich abgeschlossen und mehr als zwei Jahre gebraucht, um nach mehr als einer Dekade im HipHop ihr Debüt-Album „CORAgE“ fertigzubringen. Damals betonte Cora E.: „Ich lebe für den HipHop, nicht vom HipHop.“ Heute ist ihre Plattenfirma ein großer Medienkonzern (dessen Kürzel eine nicht ganz unbekannte Punkband vor mehr als 20 Jahren mit „enemy“ übersetzte), und Cora E. sagt: „Ich weiß halt, was mir ein Major-Label bieten kann, und das nehme ich dankend an.“

28 Jahre ist Cora E. inzwischen. Auf dem Cover der Maxi „Schlüsselkind“ kann man sie stehen sehen in einer Kangol-Jacke, die sie vor drei Jahren höchstpersönlich in Amerika gekauft hat. Wer glaubt, das mit der Jacke sei nun wirklich nicht so wichtig, der versteht nicht, worum es hier geht. Um nichts weniger nämlich als die reine Lehre und wie man sich von ihr verabschiedet, ohne sich von ihr zu verabschieden. So was wie die Quadratur des Kreises auf HipHop. Bei Cora E. spricht sich das so: „Ich muß keine Sachen machen, die ich nicht machen will. Aber klar, wenn du einen Major-Deal hast, geht es nicht mehr um Freundschaft, sondern um das Geschäft.“ Das wird wohl das Problem sein, das mit dem Geschäft. Während alle Welt der guten Cora aus tiefstem Herzen endlich ein paar Mark gönnt, verbaut sie sich das selbst mit schlechten Karriereentscheidungen, dem handelsüblichen Pech, ein paar Schlampigkeiten und dem schlichten Unwillen zu einem Erfolg, der nicht in ihr Koordinatensystem integrierbar ist.

Die Quadratur des Kreises auf HipHop

Die Passionsgeschichte begann mit der Wahl der Plattenfirma. Ausgerechnet Spin, ein Sublabel der EMI und bisher nahezu ausschließlich mit grundehrlicher Rockmusik beschäftigt, wurde erwählt, Deutschlands dienstälteste Rapperin zu vermarkten. Damit war auch schon die Strategie gefunden: Cora wurde als „Vertreterin der Old School“ angepriesen, als „waschechte“ zudem. „Halstarrig“ sei sie und eine Lektion in Sachen HipHop-Geschichte. Die entsprechenden Stichworte wurden den geneigten Medienmenschen gleich mitgeliefert: Jams, Freestyle, Zulu- Nation, Graffiti, Breakdance, MC Posing und Dissing. Zitat: „HipHop ist für sie [...] eine ganz eigene, von der Industrie noch nicht komplett vereinahmte Kultur.“ Sagt, nur zur Erinnerung, vom Medienkonzern das Unterlabel, das bisher HipHop hauptsächlich aus dem Radio kannte.

Die Werbeaktivitäten der Plattenfirma waren trotzdem rührig, nur liefen sie leider ins Leere, weil es nichts zu werben gab. Cora hatte sich alle Freiheiten zusichern lassen und nahm sich die Freiheit, erst mal was Anständiges zu lernen, also ihre Ausbildung als Krankenschwester abzuschließen. Sylvia Macco, wie sie für die Lohnabteilung der Uni-Klinik heißt, wird auch weiterhin ihren Beruf ausüben: „Es ist mir wichtig, im Krankenhaus zu arbeiten, weil ich da auch andere Einblicke in die – in Anführungsstrichen – normale Welt bekomme.“ Auf ihrer „Schlüsselkind“-Maxi prangte der Hinweis „Vom kommenden Cora E. Album“. Das war 1996. Im folgenden Jahr brachte Cora noch eine zweite Maxi zustande.

Wenn man kein Glück hat, kommt auch noch Pech hinzu. Ende des letzten Jahres, gerade als die Platte dann doch fertig zu werden schien und eine Interviewtour abgeschlossen war, wurde Spin aufgelöst, die EMI umstrukturiert, und eine Zeitlang war es recht schwierig, überhaupt jemanden zu finden, der sich für Cora E. zuständig fühlte. Fast schien es, als hätte das Schicksal vorgesehen, Cora E. solle als bedeutendste Rapperin deutscher Zunge in die Geschichte eingehen, die niemals eine LP veröffentlicht hat.

Nun aber ist es geschafft und „CORAgE“ auf dem Markt. Es interessiert nur eigentlich niemanden. „Die first Lady“ – so läßt sie sich auf der Platte selbst anmoderieren, aber das war einmal. Weibliche Stimmen im DeutschHop 1998 sind Sabrina Setlur und die Reste von Tic Tac Toe, international regieren Foxy Brown, LilKim, Missy Elliott. Das muß einem nicht gefallen, das ist so. Queen Latifah schlägt sich als Schauspielerin durch, Cora wird wohl demnächst Vollzeit-Krankenschwester.

First Lady als Vollzeit- Krankenschwester

Doch sie selbst macht deswegen keine Front auf. Sogar Puff Daddy gefällt ihr „musikalisch sehr gut. Das sind ja die richtigen Leute, die das machen.“ Dann hört man sie „Toleranz finde ich wichtig“ sagen und kratzt sich die Stirn. „Ich hoffe, daß wir keine amerikanischen Verhältnisse bekommen“, hat sie früher einmal erzählt, „daß sich Rap nicht so weit vom Underground entfernt.“ HipHop, wo gehst du hin? Denn auch wenn Basis und ihr „Ich liebe mich“ hübsch sind, Thomas D und Hausmarke selbst beim Ausbau des Fanta-4- Konzern noch halbwegs sympathisch bleiben – man fragt sich doch, wo zum KRS-One noch mal das bloß alles hinführen soll, wenn jetzt selbst Cora...

Einige Verwirrung hat ihre zweite Maxi für den Major ausgelöst. „Zeig's mir“ war ein Liebeslied, das bei weitem nicht so zweideutig war wie sein Titel. Aber auf dem Cover hatte sie was Kleines in Schwarz an, und der Hintergrund war tiefrot. Hatte da die Firma die Finger am Auslöser? Natürlich nicht, sondern Laure Maud, eine in HipHop-Kreisen gut beschäftigte Fotografin und zudem „eine Freundin“. Und der Imagewechsel? „Ich habe die Haare hochgesteckt. Die rote Farbe? Das ist doch kein Imagewechsel.“ Wenn man Cora E. zuhört, ordnen sich die größten Widersprüche plötzlich sanft ein in ein logisches Geflecht, das allerdings so zart geknüpft ist, daß es nach Gesprächsende prompt wieder zerreißt. „Es war eine bewußte Entscheidung von mir, zu diesem speziellen Song ein spezielles Outfit zu haben.“ Danach hat sie wohl wieder ihre Kangol-Jacke ausgemottet.

In Heidelberg sind die Rapper netter

Manchmal hat man das Gefühl, Cora E. möchte die Geister wieder loswerden, die sie damals rief. Aber das zuzugeben ist sie zu stur. Sie mag die einzige noch im HipHop Aktive aus der Heidelberger Szene sein, die damals im vehementen Clinch lag mit den Fantastischen 4 und dem Rödelheim Hartreim Projekt um die Frage, wer was wie im HipHop machen darf. Das Bekenntnis zu den Wurzeln bleibt trotzdem unverrückbar, wenn auch etwas naiv: „Ich komm' aus Heidelberg, da sind die Rapper netter.“ Den Großteil der Platte haben ihr die Stieber Twins produziert, die in der heimeligen Universitätsstadt nur zwei Straßen entfernt wohnen.

Nur auf die eine Rolle als miesepetriger Spielverderber am großen HipHop-Spaß will sie sich auch nicht festlegen lassen. „Ich habe mich weiterentwickelt“, sagt sie heute, „ich habe Erfahrungen gemacht, ich habe aus Fehlern gelernt, und ich bin offener geworden.“ Am Alter läge das vor allem. Aber seien wir ehrlich, Cora ist die alte geblieben, man kann auch sagen: sich treu geblieben. „Authentizität ist für mich das Wichtigste.“ Und das heißt in ihrem Bild von HipHop nun mal: „Ich bin nach wie vor darauf bedacht, die Dreifaltigkeit immer zu repräsentieren. Mir ist es wichtig, daß ich B-Boys mit auf der Bühne habe, daß ich einen DJ habe und meine Artwork von einem Sprüher kommt. Das ist eine Kultur, das ist History, das steht geschrieben. Man kann eine History nicht umändern.“ So ist das wohl, komme was wolle. Altes coranisches Sprichwort: „Das ist HipHop, das ist einfach so.“

Natürlich ist dieser Ansatz unzeitgemäß, natürlich ist er arrogant und tut so, als wurde die Weisheit vor 15 Jahren auf einem Jam in Delmenhorst kredenzt, und wer damals nicht dabei war, hat halt Pech gehabt. Und natürlich wird das hochsympathisch, wenn man Nana einmal rappen gehört hat.

Wohldosiert sperrig statt aufgeregt atemlos

Ihre Themen sind immer noch die Klassiker des Genres. Die MC- Battle als ehrenvoller Wettstreit, der Respekt, den es einzufordern gilt, die Größe und Würde von HipHop, die eigene private Geschichte als Weg zu und mit HipHop, kurz: HipHop als Religion. „MC-Comedy ist ein Witz ohne Pointe“, greift sie an, was die bittere Charts-Realität ist, nennt den Song programmatisch „Tracks ohne Refraingesänge“, und Props werden geschickt an KRS-One, die Wu Tangs, Melle Mel und die Oma. Damals wehrte sie sich gegen jeden Vereinnahmungsversuch von feministischer Seite. Und immer noch tut sie so, als würde es ausgerechnet im HipHop keine Rolle spielen, daß sie eine Frau ist.

Auch Coras Reime und ihr Rapstil wirken heutzutage eher unelegant, würgen sich die Worte mehr aus ihrem Mund, als daß sie fließen. „Ich sage, was ich meine, und ich meine, was ich sage“, rappt es auf der Platte, und es scheint, als könne sie nicht anders, als hätten sie die Reime im Griff, weil sie gerappt werden wollen, gerappt werden müssen. Was früher noch als aufgeregte Atemlosigkeit durchging, wirkt heute wie eine wohldosierte Sperrigkeit, die den Erfolg verhindern soll, den wahrscheinlich selbst ihre Plattenfirma schon längst abgeschrieben hat. Nicht umsonst eröffnet ein Song, der „Volle Kontrolle“ heißt, das Album. „Ich habe meine Lieder nicht geschrieben, um sie in den Hitparaden zu plazieren“, heißt es darin, während im Hintergrund ein Telefonklingeln nervt. Weiterentwicklung im Cora-Kosmos läßt sich nicht in verkauften Einheiten messen. „Eine Weiterentwicklung ist auch“, sagt sie, „wenn auf einmal Geld da ist, daß ich eben mal nach New York fliegen kann, um was mit der Rock Steady Crew aufzunehmen.“

Cora wäre wahrscheinlich die letzte gewesen, der man den „Great HipHop-Swindle“ zugetraut hätte, aber fast scheint es so, als sei er ausgerechnet ihr gelungen. Die Freude wird nicht lange anhalten, wenn die Marktgesetze noch funktionieren. Es ist nicht zu erwarten, daß sich noch einmal eine Plattenfirma findet, die ihr haufenweise Zeit, Geld und Manpower zur Verfügung stellt, um dann ein ziemlich unverkäufliches Produkt am Hals zu haben. So hat Cora E. wenigstens die eine Platte gemacht, und die ist ganz eindeutig von ihr. „Die Musik, die ich mache“, sagt sie, „soll in erster Linie mir Spaß machen.“

Was soll man da noch sagen als: Weiter so! Demnächst ist Cora E. dann wieder beim Jugendhaus- Jam in deiner Nachbarschaft zu besichtigen. Einziger möglicher Hinderungsgrund: Inzwischen ist sie zu alt für die Jugendtickets der Bahn.

Cora E.: „CORAgE“ (EMI)

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