: Heckerhüte mit Schokoüberzug
Baden-Württemberg startet seine Feierlichkeiten zur 1848/49-Revolution mit einer Kitschoffensive. Der soziale Hintergund interessiert weniger, und Ministerpräsident Teufel gibt den obersten Revolutionär ■ Von Jürgen Berger
Mit seiner hölzern-straffen Art erscheint Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel wie die Inkarnation des schwäbischen Pietismus. 1848/49 wäre er wohl einer der ersten gewesen, der preußisches Militär zur Niederschlagung revolutionärer Freischärlerhaufen in den Süden beordert hätte. 150 Jahre später darf er ungestraft in TV-Mikros hauchen, auch er wäre damals Revolutionär gewesen. Daß Teufel zwei Wochen vor der Ausstellungseröffnung den Hardliner in Sachen Lauschangriff gegeben hatte – „Wir hätten uns auch die Möglichkeit einer optischen Wohnraumüberwachung gewünscht“ – interessierte im Karlsruher Badischen Landesmuseum nicht. Alle lauschten hingebungsvoll, als er die zentrale Landesausstellung „1848/49 – Revolution der deutschen Demokraten in Baden“ eröffnete. Der Besucher stolpert immer wieder über Kleingruppen dilettierender Laienschauspieler, die mit Dialogischem wie „Lisbeth, jetzt haben wir die Revolutionsfahnen genäht, wem sollen wir sie denn übergeben“, in der bis Anfang August dauernden Show einen lebensweltlichen Eindruck von 1848/49 vermitteln wollen.
Exponate wie Lithographien zu den standesrechtlichen Erschießungen gegen Ende der Revolte in Rastatt, eine der ersten Daguerreotypien von fünf Revolutionären aus dem südbadischen Waldkirch, oder die kleine Pistole der für Hecker als Kundschafterin tätigen Emma Herwegh führen da schon näher zu den Wirren des Aufstandes hin. Übertüncht wird das Ganze allerdings durch die Inszenierung der Ausstellung, in der die Badische Revolution zwar als Wiege unseres demokratischen Gemeinwesens beschworen, gleichzeitig aber verkitscht wird.
So hat die Karlsruher Konditorei Schwiekert mal schnell Heckerhütchen mit Schokoguß für 3,50 Mark zur Beruhigung der Gemüter gebacken, kann der interessierte Gastronom nach Verlassen der Ausstellung die Hotline (0721) 61 57 35 des Hotel- und Gaststättenverbandes anwählen, um näheres über eine landesweit „einheitliche Revolutionsspeisekarte“ zu erfahren, die im Lahrer Schauenburg-Verlag denn auch als Kochbuch erscheinen wird. Da interessiert eigentlich kaum noch, daß die sozialen Unruhen Mitte des letzten Jahrhunderts aufgrund sozialer Verelendung ausgebrochen sind und abgesehen von Adel und gehobenem Bürgertum kaum noch jemand was zu beißen hatte.
Scheinbar uninteressant auch, warum die sozialen Aufstände ausgerechnet in den badischen Landstrichen entlang des Rheins sowie der Pfalz ausbrachen und nicht etwa im Schwäbischen rund um Tübingen. Eine Theorie besagt, daß der flächendeckende schwäbische Pietismus schon sehr früh für eine Beruhigung der Gemüter im Schwabenland sorgte, während die Gemengelage im Badischen, wo auch heute noch die Anteile von Katholizismus und Protestantismus von Gemeinde zu Gemeinde wechseln, eine entsprechende Konfliktbereitschaft schürte. Vielleicht ist das ja der Grund dafür, daß ein kleiner Ort am Rande des südbadischen Kaiserstuhls auch in jüngerer Zeit für Aufrührerisches stand: Whyl, die Wiege der Anti- AKW-Bewegung. Aber auch das ist Vergangenheit, wenn man sieht, daß man heute selbst in Endingen auf die von Stuttgart ausgerufene 1848/49-Verkitschungsoffensive einschwenkt. Der Ort liegt etwa fünf Kilometer von Whyl entfernt, von hier aus vertreibt eine „Theodor Scheiwe Collection“ den Heckerhut und eine Freiheitsfahne mit Heckerkopf in Form von kleinen Marzipanschweinereien.
Derart mit Süßigkeiten ausgerüstet kann der Revolutionstourist von Whyl rüber nach Freiburg fahren und in den „Zeit Zug 1848 – Für die Freiheit streiten“ einsteigen – eine rollende Wanderausstellung. Wer Lust hat, kann sich dann auch vorstellen, im Zug sitzen zu bleiben, um in Karlsruhe zum Revolutionswochenende inklusive „Revolutionsessen“ auszusteigen. Vor Rastatt passiert der Revolutionszug allerdings Offenburg, das, obwohl die Badische Revolution ihr Zentrum eigentlich immer gerade dort hatte, wo die „Radikalinskis“ Hecker und Struve für Aufruhr sorgten, als heimliche 1848/49-Hautstadt bezeichnet werden kann. Offenburg lag seit 1845 an einer der ersten deutschen Eisenbahnstrecken von Mannheim bis Freiburg, mit der Salmen-Versammlung und den „13 Forderungen des Volkes in Baden“ etablierte sich hier eine Art Regierung gegen das Großherzogliche Staatsministerium in Karlsruhe. Nach der definitiven Niederschlagung des Aufstandes mußten die Offenburger bitter für ihr offensichtliches Revoluzzertum bezahlen. Viele wurden exekutiert oder wanderten aus. Die südbadische Stadt, die ihre 1848/49-Festivitäten im September mit Freudenfeuern startet, kennt man heute eigentlich nur noch als Sitz des rechtskonservativen Burda-Journalismus' im Stile der Focus-Offensive für faktisch Besserverdienende, so daß am Ende nur zu erwähnen bliebe, daß der Badische Revolutionszug bis nach Marburg hochfährt und der Revolutionsreisende folglich Darmstadt passiert, wo sich mehr als 10 Jahre vor dem Jubiläum die eigentliche deutsche Revolution ereignete. Es war 1834, als der 21jährige Georg Büchner in seiner Flugschrift „Der hessische Landbote“ mit Blick auf Fürsten und Militär schrieb: „Mit ihren Kolben zerschmettern sie euch den Schädel, wenn ihr zu denken wagt, daß ihr freie Menschen seid. Sie sind die gesetzlichen Mörder, welche die gesetzlichen Räuber schützen.“ Wäre doch was für Baden gewesen: Anstatt Revolutionsengel an Marzipanhütchen zu verkaufen, landesweit Büchners „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ zu plakatieren.
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