: „Der Pöbel hauste in ekelhafter Rachsucht“
■ Orte der Revolution (Folge 15): Bei der Erstürmung des Zeughauses Unter den Linden verhinderten nur das Einlenken der Offiziere und der freiwillige Abzug ein Blutbad
Am 14. Juni 1848 kam es vor dem Zeughaus zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Volk und der Berliner Bürgerwehr. Vorausgegangen waren Protestversammlungen „brotloser Arbeiter“, wie Adolf Streckfuß schrieb. Dabei sprachen auch Mitglieder des Demokratischen Clubs.
Den Arbeitern wurde am Brandenburger Tor der Zugang in die Innenstadt verwehrt. Hunderte von Menschen forderten am Nachmittag auf einer Versammlung vor der Singakademie und dem Zeughaus die vom König am 19. März versprochene allgemeine Volksbewaffnung und den Rückzug der Soldaten, die das Zeughaus besetzt hielten. Nach der Revolution war lediglich die Bürgerwehr entstanden. Jetzt forderten auch die Arbeiter die Bewaffnung. Sollten die Waffen aus dem Zeughaus nicht freiwillig herausgegeben werden, wurde der Sturm des Gebäudes angedroht. Die Bürgerwehr schoß in die Menge. Zwei Arbeiter wurden getötet, mehrere verwundet. Das steigerte die Wut des Volkes noch mehr. In der ganzen Stadt wurden Barrikaden errichtet. Gegen 10 Uhr abends gelang es dem Handwerkerverein, das Militär durch Verhandlungen zum Rückzug in die oberen Stockwerke zu bewegen. Der Handwerkerverein zog mit seinen Leuten absprachegemäß in das Gebäude ein. Revolutionszeuge Adolf Streckfuß berichtet:
„Während dieser Unterhandlungen hatte die sich immer wilder gebärdende Volksmenge schon versucht, das Portal am Kastanienwald zu erbrechen. Sie riß die Rinnsteinbrücken auf und benutzte die Bohlen, um den Torweg einzustoßen. Dies gelang ihr in demselben Augenblick, in welchem das hintere Portal dem Handwerkerverein geöffnet wurde. Von der einen Seite drang das Volk, von der andern der Handwerkerverein in das Haus. Die aufgeregte Menge vermischte sich mit den Handwerkern und machte diesen im Innern des Hauses ein kräftiges Zusammenhalten unmöglich. Leitern wurden herbeigeschleppt, um auch das obere, noch vom Militär besetzte Stockwerk zu erstürmen. Der Ruf, man solle Feuer legen, um die Soldaten auszuräuchern, ertönte. Ein wütender Kampf drohte, wenn das Militär den Versuch, das obere Stockwerk zu verteidigen, machen wollte. In diesem Augenblick der höchsten Gefahr unternahm es der Leutnant Techow, mit dem Hauptmann von Natzmer zu unterhandeln, um diesen zu einem friedlichen Abzug zu bewegen.
Es wurden Fackeln angesteckt, mit diesen zog das Volk im Zeughaus herum, in dem es Kisten plünderte, die mit Gewehren und Munition angefüllt waren; aber dennoch erreichten bei dieser Plünderung nur wenige ihren Zweck, nämlich den einer Bewaffnung, da die im Zeughause liegenden Gewehre meistens Zündnadelgewehre waren, die vollkommen unbrauchbar für jeden blieben, der nicht mit den dazugehörigen Patronen versehen war. Nachdem die Kisten mit Gewehren erbrochen und geplündert waren, nachdem die Arbeiter sich mit Kugeln und Munition versehen hatten, entfernten sich nach und nach alle, deren Zweck es gewesen war, sich Waffen zu verschaffen, und nur ein nichtswürdiger, beutegieriger Pöbel, wie er ja in allen großen Hauptstädten sich vorfindet, blieb im Zeughause zurück, um in blinder Zerstörungswut und ekelhafter Raubsucht dort zu hausen, bis zwei Bataillone des 24. Infanterie-Regiments und mehrere Bataillone der Bürgerwehr heranmarschierten und das Zeughaus besetzten. Das feige Gesindel floh.“
Die Volksredner des „Demokratischen Clubs“, die vor der Erstürmung des Zeughauses die allgemeine Volksbewaffnung gefordert hatten, wurden verhaftet und vor Gericht gestellt. Im „Prozeß gegen Feenburg und Genossen“ wurde der Student Robert Feenburg-Tongorski wegen versuchten Aufruhrs mit einjährigem Festungsarrest verurteilt und nach Verbüßung der Strafe nach Rußland ausgeliefert, da er kein geborener Preuße war. Die Redner Korn und Siegrist erhielten eine zwei- bzw. vierjährige Festungsstrafe. Schlecht erging es auch den Offizieren, die, statt auf das Volk zu schießen, die Truppen zurückgezogen hatten. Hauptmann von Natzmer erhielt wegen Fahrlässigkeit im Dienst 10 Jahre Festungsarrest, ein Leutnant Arnauld zwei Jahre. Beide wurden aus dem Dienst entlassen. Von Natzmer kam allerdings schon 1849 frei. Leutnant Techow, der Hauptmann von Natzmer zur kampflosen Übergabe des Zeughauses überredet hatte, erhielt 15 Jahre Festungsarrest, konnte aber im ersten Jahr der Gefangenschaft fliehen.
Der Zeughaussturm war eine spontane Revolte der Berliner Unterschichten, die mit der politischen Entwicklung nach der Wahl der Preußischen Nationalversammlung im Mai unzufrieden waren. Die Neue Rheinische Zeitung, herausgegeben von Karl Marx, sah den Zeughaussturm als „erstes Wetterleuchten einer zweiten Revolution“. Tatsächlich verschärften die Ereignisse am 14. Juni die Widersprüche zwischen den Unterschichten und dem Bürgertum Berlins.
Heute ist im Zeughaus das Deutsche Historische Museum (DHM) untergebracht. Nichts wäre naheliegender, als daß sich das Museum in seinem Gebäude, in dem sich eine bedeutende Episode der 48er Revolution ereignet hat, der damaligen Ereignisse angenommen hätte. Generaldirektor Dr. Christoph Stölzl hat jedoch daran kein Interesse gezeigt. Als er 1992 darauf angesprochen wurde, im Jahr 1998 eine Ausstellung zur 1848er Revolution auszurichten, wies er in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesinnenministerium darauf hin, daß die angesprochene Thematik bereits mehrfach besprochen und dargestellt worden sei, z.B. im Rahmen der Bismarck-Ausstellung des DHM im Jahre 1990. Zum Trost schickte das Innenministerium dem Leiter des Kulturamtes Offenburg, der die Anregung gegeben hatte, einen Bismarck-Kulturband.
Das läßt tief blicken. Die Märzrevolution von 1848 soll also eine Unterabteilung in der Darstellung des Lebens von Bismarck gewesen sein. Jürgen Karwelat
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