piwik no script img

"Das ist fast ein unsittlicher Antrag"

■ Die Grünen wollen nicht die Mehrheitsbeschaffer für die Bezirksreform sein: Die Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Michaele Schreyer kritisieren das Vorhaben als sachfremd und undemokratisch. Mi

taz: Morgen soll die Bezirksreform im Parlament beschlossen werden. Ob die Zweidrittelmehrheit zustande kommt, ist unsicher. Sicher ist hingegen, daß die Bündnisgrünen dabei gänzlich abseits stehen. Vor zehn Tagen ist ein Beschluß gefaßt worden, der die Latte für eine Zustimmung der Grünen so hoch hängt, daß dies völlig ausgeschlossen ist. Ist versäumt worden, die innerparteiliche Diskussion so zu führen, daß die Grünen handlungsfähig sind?

Renate Künast: Wir stehen nicht abseits, aber wir stimmen nicht zu. Wir sind diejenigen, die die Kritik an der unsachlichen und undemokratischen Vorlage der Koalition formulieren. Ich gebe zu, in den Bezirken wird gebremst. Aber auch wenn wir mehr diskutiert hätten, bleibt unsere Position, daß eine Verwaltungsreform vor der Gebietsreform kommen muß. Außerdem muß die Zusammenlegung von Bezirken inhaltlich diskutiert werden und nicht nach parteipolitischen Interessen. Es gibt vollkommen irrsinnige Schneidungen, mit denen Widerstandsnester in CDU und SPD befriedet werden sollen. Das hätte ganz anders gelöst werden müssen. Über das Ergebnis hätte man dann problemlos 2004, nach vollzogener Verwaltungsreform, einen Volksentscheid machen können.

Michaele Schreyer: Eine Handlungsunfähigkeit durch die Parteitagsbeschlüsse sehe ich überhaupt nicht. Wir haben viele Vorschläge gemacht – nur hat die Große Koalition nicht mit uns geredet. Für die Übertragung von Aufgaben an die Bezirke haben wir im letzten Jahr einen Gesetzentwurf vorgelegt. In der Verwaltungsreform sind wir eine der treibenden Kräfte, unsere Vorschläge wurden teilweise übernommen. Aber die Koalition hat ein Paket geschnürt unter striktem Ausschluß unserer Fraktion. Da werden wir jetzt nicht die Mehrheitsbeschaffer spielen.

Der Parteitagsbeschluß fordert einen Volksentscheid und eine Verschiebung der Bezirksreform auf das Jahr 2004. Das aber ist für die CDU-SPD-Koalition nicht diskutabel.

Künast: Diepgen hat den Volksentscheid vor einigen Jahren selbst mal erwogen. Er hat diese Idee fallenlassen, weil er wußte, er kriegt dann innerhalb der Koalition die Mehrheiten nicht. Nach dem Willen der Koalition kommt die Bezirksreform nach einer Zeit des chaotischen Übergangs erst 2001. Im übrigen weiß jeder bei den Grünen, daß unsere Parteitagsbeschlüsse nicht vollkommen umgesetzt werden können. Aber es hat niemand mit uns geredet.

Wir werden als handlungsunfähig hingestellt, weil SPD-Fraktionschef Klaus Böger sagt, die einzige Möglichkeit, die Bezirksreform durchzusetzen, ist dieses Paket, und über diese Hürde müßt ihr springen. Zugleich wird dieses Paket immer enger geschnürt, so daß wir immer weniger zustimmen können. Die von uns geforderte Stärkung der Bezirke wird jetzt durch Änderungen wieder zurückgenommen. Die Fachaufsicht soll bleiben, und zusätzlich soll es ein Eingriffsrecht des Senats geben. Die Voraussetzungen für das Eingriffsrecht werden immer mehr ausgeweitet. Aus „Eingriffen in zwingenden Fällen“ werden „Eingriffe in dringenden Fällen“. Das Verfassungspaket enthält solch unmögliche Dinge wie die Wahl von Mitgliedern des Verfassungsschutzausschusses. Da hat sich die SPD von der CDU über den Tisch ziehen lassen, denn ursprünglich wollte sie dies nicht. Die CDU will jetzt, daß die Gebietsgrenzen der Bezirke in der Verfassung festgeschrieben werden, damit sie später nicht mit einfacher Mehrheit verändert werden können. Außerdem wird das politische Bezirksamt bis 2010 verhindert, was eine Knebelung jeder nachfolgenden Regierung ist. Es ist fast ein unsittlicher Antrag, dafür unsere Zustimmung zu verlangen.

Welchen Teilen des Paketes könnten die Grünen zustimmen?

Künast: Im Prinzip der Parlamentsreform, obwohl wir für eine Verkleinerung auf 150 Abgeordnete sind, statt auf 180, wie es die Koalition will. Wir befürworten die Verringerung der Altersversorgung der Abgeordneten, sind aber gegen die Erhöhung der Diäten um 17 Prozent.

Aber die Grünen haben nie einen konkreten Vorschlag für die künftige Zahl der Bezirke gemacht. Für die Öffentlichkeit haben die Grünen deshalb keine Position.

Schreyer: Wir haben beim Parteitag vor zehn Tagen beschlossen, daß die Grünen einer Verringerung der Bezirke offen gegenüberstehen. Die Große Koaliton hat im Senat das Zwölfermodell beschlossen, hat es aber nicht mit Sachargumenten unterlegt. Deshalb findet das Modell in der Bevölkerung auch keine klare Zustimmung. Wie soll die Bevölkerung zustimmen, wenn sich der Neuzuschnitt eines Hauptstadtbezirkes hauptsächlich nach wahltaktischen Gesichtspunkten richtet. Das sind doch keine werbenden Argumente. Es wurde mit uns im Vorfeld nicht einmal darüber gesprochen, welche Kriterien man für einen Neuzuschnitt anlegt.

Welche Kriterien würden die Grünen anlegen?

Schreyer: Es geht um Fragen der Sozialstruktur, Fragen der Kooperationsmöglichkeiten für die einzelnen Stadtteile. Die neuen Bezirke müßten ungefähr gleich groß sein. Die Verwaltung müßte so dezentralisiert werden, daß für die Bürger keine weiten Wege entstehen. Deshalb ist die Zusammenlegung von Treptow und Köpenick, die flächenmäßig dann mit Abstand den größten Bezirk bilden, nicht sinnvoll.

Offenbar wollen weder die Fraktion noch der Parteivorstand den offenen Streit mit den Aktiven der Bezirke riskieren. Das macht es ihnen leicht, sich in ihrer Ablehnungshaltung einzugraben.

Künast: Auf die Gefahr hin, daß mal wieder jemand sauer ist: Ich empfinde es durchaus so, daß sich einige Grüne in den Bezirken eingegraben haben und auch nicht gerade sehr veränderungsbegeistert sind in dieser Frage. Aber das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie das gelaufen ist. Die Bezirke sollen als Sparschwein benutzt werden. Und das, was am meisten bringt, die Verwaltungsreform, wird nicht umgesetzt. Das grün regierte Schöneberg liegt ganz vorn bei der Umsetzung der Verwaltungsrefom, im CDU-regierten Tempelhof bewegt man sich keinen Millimeter. Wenn das Ganze dann noch dazu führt, daß bündnisgrüne Hochburgen zerschlagen werden und bei der Aufteilung mal SPD-Interessen, mal CDU-Interessen bedient werden, dann führt das natürlich zu einer Blockade. Interview: Dorothee Winden und Gerd Nowakowski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen