: Handelsherr Deutschland
Von Globalisierung kann beim deutschen Außenhandel kaum die Rede sein: Über 80 Prozent der Waren bleiben in Europa. Der Exportboom von 1997 setzt sich fort ■ Von Hermannus Pfeiffer
Hamburg (taz) – „Der deutsche Exportmotor brummt weiterhin äußerst kraftvoll über die großen Handelsautobahnen“, verlautet übereinstimmend aus Frankfurt, Wiesbaden und Brüssel. Allem Gejammer über den Standort Deutschland zum Trotz: Der Außenhandel demonstriert eindrucksvoll die Stärke der hiesigen Wirtschaft.
Wie der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels (BGA) gestern mitteilte, werden die Ausfuhren 1998 wieder zweistellig wachsen – der BGA rechnet mit 11,5 Prozent. Fast eine Billion Mark werden deutsche Exporteure in diesem jahr einnehmen, so die Prognose. Und auch der Import soll wieder um neun Prozent wachsen.
Doch in der Im- und Exportbilanz findet sich wenig von der vielbehaupteten Globalisierung. Statt dessen gilt: Euroland ist sich selbst genug. Dieser Extrakt kann aus den jüngsten Zahlenwerken von Bundesbank, Statistischem Bundesamt und Europäischer Kommission gezogen werden.
Die Welt darf sich weiterhin an „made in Germany“ sattkaufen. Schon das vergangene Jahr hatte kräftiges Zuwächse gebracht: Die Ausfuhren waren um 12,5 Prozent und die Einfuhren um 10,9 Prozent gewachsen. Der deutsche Außenhandelsüberschuß war seit der deutschen Einheit nie so groß wie 1997: Mehr Waren (im Wert von 122 Milliarden Mark) verließen das Land als hereinkamen. Der deutsche Export war auf den historischen Höchststand von 887,3 Milliarden Mark gerast. Schon in den beiden Vorjahren hatte die Ausfuhr um 5 beziehungsweise 13 Prozent zugenommen.
Der deutsche Weltmarktanteil pendelt seit den siebziger Jahren kontinuierlich um die Zehn-Prozent-Marke – Platz zwei hinter den USA, aber vor Japan. Im vergangenen Jahr ist der deutsche Weltmarktanteil leicht gewachsen. Obendrein vermelden die Statistiker mit nahezu allen Staaten einen Überschuß, namhafte Ausnahmen bilden dabei lediglich Japan und China.
Eindrucksvoll ist auch der deutsche Außenhandel mit den südostasiatischen „Schwellenländern“ (Bundesbank). Diese Tigerstaaten galten lange Zeit als industrielle Bedrohung aus dem Osten. Tatsächlich war Deutschland schon vor der herbstlichen Währungskrise der Handelsherr: 1996 standen den Importen im Wert von 36 Milliarden Mark Exporte in die Tigerstaaten von 45 Milliarden Mark gegenüber. Und der BGA rechnet nicht damit, daß die anhaltenden Turbulenzen in der Region den deutschen Außenhandel allzusehr in Mitleidenschaft ziehen. Die Außenhandelsverflechtung mit den sieben betroffenen Staaten Thailand, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Taiwan, Süd-Korea und Hongkong sei hierfür mit 4,9 Prozent zu gering. Allerdings könnte es Schwierigkeiten geben, wenn die in Südostasien wesentlich stärker engagierten Volkswirtschaften Japans und der USA geschädigt würden.
Trotz Exportrekord haben auch 1997 die Firmenpleiten weiter zugenommen und sank die Zahl der Beschäftigten, da gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität um 3,7 Prozent zulegte. Der Export bleibt die entscheidende Stütze der Konjunktur: Ob im Maschinenbau oder in der chemischen Industrie, ob in der Automobilproduktion oder bei Gummiwaren, überall findet sich die gleiche Drift: Auslandsaufträge ziehen kräftig an, derweil die Inlandsaufträge bestenfalls stagnieren.
In der deutschen Industrie sind so während der neunziger Jahre die Inlandsaufträge auf unter 95 Prozent abgesunken, während das internationale Geschäft auf 130 Prozent hochschoß (1991 = 100). Massenarbeitslosigkeit und schwächelnde Konjunktur ließen hierzulande die Binnennachfrage auf altem Niveau stillstehen. Zugleich trieb die aufwärtsstrebende Konjunktur in Europa sowie das starke Wirtschaftswachstum in Nordamerika und eine faktische D-Mark- Abwertung die deutsche Ausfuhr in neue Rekordhöhen. Gegenüber den Währungen von 18 Industrieländern sank der DM-Index von 200 auf unter 190 Punkte ab, und damit verbilligten sich deutsche Produkte im Ausland.
Daß es sich aber auch ohne solchen Zusatzantrieb prachtvoll ausführen läßt, hat das Jahr 1995 bewiesen: Damals wurde ein Exportrekord vermeldet, obwohl die Mark deutlich teurer geworden war und obendrein die Löhne stiegen.
So belegt der neuerliche Exportrekord wiederum die Extraklasse des Standorts Deutschland. Dem widerspricht der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Das Ausfuhrhoch spreche nicht für den Standort. Vielmehr hätten „die Rationalisierungsbemühungen gerade in der Exportindustrie und eine erhebliche Innovationsleistung“ die Ausfuhr beflügelt, sagte eine BDI-Sprecherin gegenüber der taz.
Dem Handelsrekord steht in der Tat eine wie üblich negative Dienstleistungsausbeute gegenüber. Etwa 60 Milliarden Mark flossen mehr ab als hereinkamen. Hinter diesem Minus verbirgt sich vornehmlich die rapide Reiselust der Bundesbürger, die 50 Milliarden Mark mehr verprassen, als die Auslandstouristen im Schwarzwald oder an der Nordseeküste ausgeben. Daß am rechnerischen Ende die „Zahlungsbilanz“ gar in die roten Zahlen rutscht, liegt zudem am deutschen Kapitalexport, an den hohen Heimatüberweisungen ausländischer Arbeiter sowie an den laufenden Übertragungen in die Haushaltskasse der Europäischen Union.
Das deutsche Exportgeschäft konzentriert sich auf Europa. 78 Prozent aller Ausfuhren in Industrieländer gingen in die EU. Zusammen mit der Schweiz und Norwegen steigt der Anteil gar auf 85,2 Prozent. Selbst der Handel mit den USA und Japan spielt eine untergeordnete Rolle. Und in den osteuropäischen „Reformländern“ wird mehr „made in Germany“ verkauft als in Übersee. Der tatsächliche „Weltmarkt“ für deutsche Exporte heißt Euroland.
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