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Immer herein, wenn's ein Medienkünstler ist

■ Der Club-Nachwuchs entert die Museen: Die vom Kulturkreis des BDI ausgewählten Preisträger für „ars viva – Medienkunst“ stellen ihre Arbeiten im Hamburger Bahnhof aus

An einem Wochentag im WMF: Der verrauchte Raum ist gegen Mitternacht gut gefüllt, die Musik ist laut, die Fernseher unter der Decke zeigen weißes Rauschen. Der fünfzigjährige Mann mit dem Trenchcoat und grauen Langhaaren, der gerade reingekommen ist, gehört hier nicht so richtig hin. Er geht zur Tanzfläche, auf der noch niemand tanzt, geht mit dem Blick eines Ethnologen langsam durch den Raum. Bleibt kurz an der Theke stehen. Geht langsam zur Tür. Als der Türsteher die schrabbelige Schwingtür für ihn aufmacht, steht ein stadtbekannter Kölner Galerist samt Entourage draußen. Immer herein, wenn's kein Schneider ist ...

So gesehen am Abend der Eröffnung von „ars viva“ im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst. „ars viva“ ist eine Medienkunstausstellung, die der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft des BDI ausgewählt hat und die jetzt durch diverse westdeutsche Museen weitergereicht wird. Erst Stuttgart, dann Mönchengladbach, jetzt Berlin, wo fast alle Künstler herkommen, die bei „ars viva“ eingeladen sind. Die nächste Station ist Kiel. „Medienkunst könnte sich im Rückblick als ,die‘ Kunstform der Jahrhundertwende erweisen“, hat der Kulturkreis des BDI herausgefunden. Medienkunst hat hierzulande Konjunktur. Nicht daß jemand so genau wüßte, was Medienkunst ist – sind Ölfarbe und Bleistift nicht auch Medien?

Andererseits hat in Karlsruhe das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) eröffnet, wo Medienkunst High-Tech bedeutet und keine Installation weniger als ein Gigabyte schwer ist.

Wie Medienkunst gilt auch Clubkultur bei vielen Kunstbetriebsteilnehmern als das nächste große Ding. Das stand schließlich neulich schon im Kunstforum unter dem Label „Cool Club Strategies“ zu lesen. Es ist nur verblüffend, wie leicht der Kunstbetrieb dieses Erbe der Techno-Periode integriert hat. Seit bei der Biennale in Venedig vor drei Jahren der „Club Berlin“ seine Tore öffnete, ist Clubkultur salonfähig.

In ganz Deutschland wurden in den letzten Jahren Museen vorübergehend zu Tanzdielen und Ausstellungseröffnungen zu Raves verwandelt. Für die meisten Institutionen war das eine Frischzellenkur, für die beteiligten Clubkultur- Protagonisten ein erstes Auftauchen in der offiziellen Kunstszene.

Die Club-/Techno-/Rave-Kultur hat auch in Berlin ihre aufregendste Zeit hinter sich. Die Clubs sind leer, zu den Raves kommen immer weniger Tanzwütige, die Pleite lacht: Höchste Zeit für die Protagonisten der Clubszene, sich Marktlücken zu suchen, die ihnen ihr institutionelles Überleben sichern. Dr. Motte hat die Love Parade, WestBam sein Merve-Buch, die Medien-/Clubkultur hat ihre Künstler fürs Museum.

Die „BDI-Lounge“ anläßlich der Eröffnung der „ars viva“ hatten viele Berliner Clubber und Nachwuchskünstler trotzdem für einen Witz gehalten: Daniel Pflumm, einer der Teilnehmer von „ars viva“, ist bekannt dafür, daß er in seinen Videos den Logos bekannter Großunternehmen neues Leben einhaucht. Seine Videoloops liefen im inzwischen geschlossenen Panasonic als visueller Muzak. Da sahen sie toll aus. Und jetzt stehen sie plötzlich im Zentrum einer Veranstaltung, wo sie unter dem Titel „BDI-Lounge“ firmieren. Daß Pflumms Video- Loops mit den rotierenden Firmenlogos an einer Museumswand nur noch wie akademische Fingerübung aussehen, wenn man sie aus ihrem Club- Umfeld entfernt – na ja, shit happens. Wahrscheinlich wird ein entnervter Museumswächter irgendwann auch den Sound runterdrehen, und dann ist das halt nur noch Ambient-Kunst – ein Stück audiovisueller Raumgestaltung.

„Um diese Kost für die Kunst verdaulich zu machen, muß noch einiges passieren, aber natürlich nicht nur bei Daniel Pflumm, sondern bei den Institutionen“, heißt es im „ars viva“-Katalog. Die Institutionen haben schneller reagiert, als man sich das vorgestellt hat, und es wird nicht mehr lange dauern, bis diese Videoinstallationen in den Sammlungen städtischer Kunstmuseen auftauchen werden. Immerhin, prophetisch warnt der Katalogtext auch: „Jetzt, wo die Videos von Pflumm wirklich ihre Rundreise im Museum beginnen, habe ich etwas Sorge, es könnte zuviel Kunst werden und zuwenig Leben dabeisein.“ Wohl wahr, möchte man da seufzen – und das gilt nicht nur für die Arbeiten von Pflumm, die bei der „ars viva“ zu besichtigen sind.

Eva Grubingers fast lebensgroße Schnittmuster-Figurinen sind mit dem Computer entworfen und deswegen irgendwie Medienkunst. Die Fotos von der Web- Designerin Heidi Specker sind mit dem Computerprogramm Photoshop bearbeitet und deswegen auch irgendwie Medienkunst. Die Videoinstallationen von Heike Baranowsky und Wawrzyniec Tokarski sind eben Videoinstallationen und deswegen sowieso Medienkunst.

Warum alles zusammen wie ein Hain der Harmlosigkeit aussieht – na ja, muß eben Medienkunst sein. Und die sieht im ZKM auch nicht anders aus. „ars viva“ ist übrigens die erste Medienkunstausstellung seit Jahren, die keine eigene URL im Internet hat. Tilman Baumgärtel

„ars viva – Medienkunst“, bis zum 13. April, im Hamburger Bahnhof, Berlin, Katalog: 30 DM

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