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Das Schiff Nummer 401

■ Die "Titanic" als technische Maschine und Instrument einer entstehenden Weltwirtschaft

Reden wir einmal nicht von dem schräg aus dem eisigen Wasser ragenden Heck, der Untergangsmetapher dieses Jahrhunderts schlechthin: Menetekel für technische Hybris, Kapitalismus oder die Menschheit ganz allgemein. Reden wir statt dessen davon, daß die „Titanic“, anders als es ihr Mythos nahelegt, kein technisches Einzelstück war, auch nicht nur ein Fellinisches „Schiff der (Alp)Träume“, sondern reales Produkt früher wirtschaftlicher Globalisierung.

Wie die anderen Erzeugnisse der Belfaster Werft Harland & Wolff wurde auch „Ship No. 401“ – so die werftinterne Bezeichnung für die „Titanic“ – bereits während des Entstehens auf fotografischen Platten festgehalten. Das historische Archiv von Harland & Wolff gehört mittlerweile zu den Beständen des Ulster Folk & Transport Museum, das einen kleinen Band mit alten Fotografien herausgegeben hat: „Steel Ships & Iron Men“ (Frair's Bush Press, Belfast 1989).

Einem Verzeichnis der Fotos ist zu entnehmen, daß die „Titanic“ längst nicht so ausgiebig aufgenommen wurde wie Nr. 400, ihr Schwesterschiff „Olympic“. Denn etwa vier Monate später auf Kiel gelegt, war die „Titanic“ schon das zweite Produkt, mit dem die renommierte Werft neue Schiffbaurekorde quasi in Serie aufstellen wollte – das technische Neuland freilich wurde zuerst mit der „Olympic“ beschritten und entsprechend dokumentiert. Ein drittes Schiff war bereits im Bau, als die „Titanic“ zu ihrer verhängnisvollen Reise auslief: Als Lazarettschiff eingesetzt, sank die „Britannic“ 1916 im Mittelmeer nach der Berührung mit einer Mine.

Auf den alten Fotos sind die beiden Schwesterschiffe oft gemeinsam zu sehen: auf der eigens für die Riesenschiffe errichteten Doppel- Helling oder später im Wasser. Eines der Bilder zeigt die „Titanic“ am Ausrüstungskai und daneben die „Olympic“, die zu Reparaturarbeiten anlegt – die beiden Luxusliner lassen sich kaum auseinanderhalten.

In Nordirland vom Stapel gelaufen, Heimathafen Liverpool, und am Heck die Flagge Ihrer Majestät – jedem Betrachter mußte die „Titanic“ als durch und durch britisches Schiff erscheinen. Doch weit gefehlt. Vor dem britischen Untersuchungsausschuß erklärte Reederei-Chef Joseph Bruce Ismay, die „Titanic“ sei eindeutig ein amerikanisches Schiff gewesen.

Zum Schutz ihrer Werften hatten die Vereinigten Staaten verfügt, daß nur im Lande gebaute Schiffe das Sternenbanner tragen durften. Doch in Belfast arbeitete man billiger. So war die White Star Line, die Reederei der „Titanic“, als britische Firma, die sich aber über eine komplizierte Schachtelkonstruktion zu 100 Prozent in US- amerikanischem Eigentum befand, gegründet worden, damit die im Ausland gebauten Schiffe das Land ihrer Besitzer anlaufen konnten. Im Fall der „Titanic“ verhinderte der Eisberg, daß es dazu kam. Wolfgang Werneburg

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