: Präsidiales Standbild mit John Travolta
■ Hierzulande läuft "Wag the Dog" an. In den USA wirft Bill Clinton wegen "Primary Colors" tatsächlich mit der Speckseite nach der Wurst
In François Truffauts „Die Amerikanische Nacht“ gibt es eine kleine sentimentale Szene um die Standbilder im Aushang eines Kinos. Um diese schillernden Fiktionen des angekündigten Films, die die Quintessenz der entscheidenden Szenen zu bannen scheinen und die daher so unberechenbar verführerisch wie lehrreich sind. Es handelte sich um eine kardinale Szene, in der Truffaut bekennt, wie sich seine Liebe zum Kino erstmals an diesen stillgestellten Filmbildern entzündete. Trotzdem erinnert sich kaum jemand an sie. Dagegen zitiert jeder, der den Film gesehen hat, den Satz, daß überall in Nizza „Der Pate“ gespielt wird und alle anderen Filme kaputtmacht.
Was soll man dazu sagen, in Zeiten von „Titanic“? Trotzdem, nicht das Kino, wohl aber die Aufmerksamkeit für die Film stills hat gelitten. Weder die Filmszenen noch die Schauspieler, für die die Standbilder noch immer werben wollen, erscheinen in einem signifikanten Arrangement. Vielleicht ist es die Dominanz des Fernsehens und seiner Kino-Sendungen, die das Standbild so radikal entwertet haben. Die Presse bekommt die langweiligen Fotos und das Fernsehen die bedeutsamen Miniclips. Vielleicht existieren die ikonographisch einprägsamen Bilder daher nur im Kopf.
Das interessanteste (nichtexistente) Standbild in „Wag the Dog“, der raffinierten Komödie um die mediale Behebung der moralischen Verfehlungen eines US-Präsidenten (siehe taz vom 21. Februar), die nun in den deutschen Kinos startet, ist natürlich das Bild, das ihn in der Öffentlichkeit mit der jungen Pfadfinderin zeigt, die er später im Privaten sexuell belästigt.
Dieses fiktionale Bild fand bekanntlich wenig später seine faktische Entsprechung. In jeder Nachrichtensendung war zu sehen, wie Bill Clinton in einer Reihe von Mädchen auf Monica Lewinsky zugeht, die er väterlich präsidial umarmt. Nun darf man annehmen, daß Barry Levinson nicht über hellseherische Fähigkeiten verfügen mußte, um diese Szene zu entwerfen, sondern daß dieses Bild in Form eines ikonographisch bedeutsamen Rituals schon längst existierte. Daß es also kein Bild von Rang gibt, das nicht in die immer fortlaufende Geschichte des Kinos einginge. Manchmal schon bevor sein Rang erkannt wird.
Doch „Wag the Dog“ ist in den USA schon Schnee von gestern. Dort geht es jetzt um „Primary Colors“, die Verfilmung des Bestsellers jenes Anonymus, der sich später als der Newsweek-Kolumnist Joe Klein entpuppte. John Travolta spielt Gouverneur Jack Stanton, der eigentlich Bill Clinton in seiner Präsidentschaftskampagne 1992 meint.
Es erscheint nun nicht ohne besondere Ironie, daß nicht der Hollywood-Schauspieler Reagan, sondern der Profipolitiker Clinton den Präsidenten geradezu zu einem eigenen Darstellerfach in Hollywood machte und eine Lawine von Präsidentenfilmen lostrat. Deshalb muß sich Clinton in einer ganz anderen Weise um Hollywood bemühen als Reagan. Und deshalb ist das entscheidende Standbild im Kontext des Films sowenig verfügbar wie das des Präsidenten mit der Pfadfinderin. Laut George, der von John Kennedy herausgegebenen Zeitschrift, soll Clinton bei einem Gespräch im Weißen Haus auf Travolta zugegangen sein und gesagt haben: „Ich möchte Ihnen wirklich gern bei Ihrer Sache da mit Scientology drüben in Deutschland helfen.“ Und darüber hinaus schickte er noch seinen Sicherheitsbeauftragten Berger zum Gespräch mit dem Hollywoodstar. Der allerdings will nur wegen eines Autogramms für seine Kinder dagewesen sein. Brigitte Werneburg
„Wag the Dog“. Regie: Barry Levinson. Mit Dustin Hoffman, Robert De Niro. USA 1998, 99 Min.
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