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Hundert Jahre Traurigkeit

■ Nick Lowe ist zurück, aber er ist ein anderer: "Dig My Mood" beschwört gloomy Tristesse. Der Ex-Pub-Rocker nimmt sich endlich ernst - und schreibt die besten Songs seiner Karriere

Über alles mußte er sich lustig machen. Kein Witz war ihm zu doof, kein Wortspiel zu schäbig, um es nicht in einen seiner Songs zu stricken. Er kalauerte über die Bay City Rollers und den armen Rick Astley, schrieb dazu dufte Rock 'n' Roll-Midtempo-Shaker und führte ein sorgenfreies Leben. Bis ihm eines Tages klar wurde, daß er damit nicht ewig weitermachen kann. Daß ein alter Mann sich nicht so aufführen darf.

Plötzlich erkennt man Nick Lowe nicht mehr wieder. Heute traut er sich nicht mal mehr, laut und vernehmlich zu singen – die meisten Songs auf „Dig My Mood“ kann er vor lauter Kummer nur flüstern. Alle andern singt er so behutsam, als fürchte er, mit allzuviel Vitalität seine Kümmernis zu beflecken. Gedämpftes Licht, gloomy Tristesse, wohin das Auge schweift: Jeder Song auf seinem neuen Album handelt vom Verlassenwerden, von der Einsamkeit. Leidet der Künstler, freut sich der Mensch: Lowe schreibt in der Tat die besten Songs seiner Karriere. Weil er sich endlich ernst nimmt.

Doch der Reihe nach. Wer ist dieser Lowe überhaupt? Warum nennt man ihn den „Basher“? Und wieso gilt er als Urvater der Punkbewegung? Ganz einfach: Weil er, wie die anderen Pub-Rocker seiner Zeit, schon in den tiefsten Siebzigern alles anders machte als Yes und Co. Kein Taft und Tüll und Trockeneis, keine Songs über Elfen, Feen oder Spinnen vom Mars, kein Gitarrengegniedel ad infinitum. Im Gegenteil, Bands wie Brinsley Schwarz oder Dr. Feelgood setzten auf schäbige Jeans und Karohemden, auf Songs, die knappe drei Minuten währten und von den Freuden des Alltags handelten. Kippington Lodge hieß Lowes erste Band, zwischen 1967 und 1969 brachten sie fünf Singles raus. Interessierte aber keinen. Also änderten sie ihren Namen in Brinsley Schwarz und inszenierten einen der seltsamsten Hypes der Musikgeschichte. Traten im legendären Fillmore East zusammen mit Van Morrison und Quicksilver Messenger Service auf. 200 Journalisten saßen im Publikum und waren Zeugen einer kleinen Katastrophe. Danach waren BS erledigt, zumindest in Amerika. Das Beste, was ihnen passieren konnte. Sie machten aus der Not eine Tugend, verzichteten fortan auf Starruhm, traten zweimal die Woche im Tally Ho auf – einem, wenn nicht dem legendären Pub-Rock- Pub –, erspielten sich eine kleine, aber treue Fangemeinde und lösten sich schließlich auf.

Nach dem Splitt arbeitete Lowe eine Weile als Tourmanager für Graham Parker & The Rumour, dann gründete er zusammen mit dem Freund Jake Riviera Stiff Records. Jetzt war er mit seinen musikalischen Vorstellungen auf der Höhe der Zeit: rein ins Studio, aufnehmen, raus in den Pub, nächsten Song schreiben. Denn einen Basher kümmert keine Perfektion: Er haut es raus. Lowe produziert mit The Damned das erste Punk-Album überhaupt und führte auch bei den ersten fünf Alben von Costello Regie. 1978 bringt er sein erstes Solo-Album raus: „Jesus Of Cool“ (in Amerika: Pure Pop for Now People). Die Single „Breaking Glass“ schafft es sogar in die UK-Top10.

Es würde zu lange dauern, das Hin und Her der folgenden Jahre zu schildern. Beschränken wir uns auf das Nötigste, auf Rockpile – die Band, die er zusammen mit Dave Edmunds gründete, von nun an Freund und Weggefährte. Auf Carlene Carter, die Stieftochter von Johnny Cash, die ihm Anfang der Achtziger über den Weg lief und mit der er kurz darauf vor den Traualtar trat. Lassen wir alles andere weg: seinen Versuch, zusammen mit John Hiatt, Jim Keltner und Ry Cooder eine Supergroup zu gründen. Oder daß er 1988 noch mal Costello produziert. Alles nicht so wichtig. Wichtiger ist, daß er mittlerweile soff wie ein Loch. Seine ewigen Witzchen immer schaler wurden – und die Songs immer schlechter. „Ich habe mein Bestes getan, aber mein Bestes war einfach nicht gut genug“, räumt er heute ein. Erst als Carlene geht, kommt er wieder zur Besinnung. „Mir wurde klar, daß ich mich mit der Tatsache auseinandersetzen muß, daß ich älter werde.“

Nicht nur vom Alkohol, auch vom Rock 'n' Roll hat er sich mittlerweile verabschiedet. Da scheint es nur logisch, daß er auch vom alten Weggefährten Edmunds nichts mehr wissen will. „Dave“, seufzt Lowe, „ich weiß auch nicht – wir haben uns irgendwie auseinandergelebt. Er ist nun mal auf diesem Retrotrip, und das interessiert mich einfach nicht mehr. Ich wollte schon auf ,Party Of One‘ neue Wege gehen, weg von diesen Vocal-Overdubs. Nicht erst den Track einspielen und anschließend drübersingen, sondern gleichzeitig spielen und singen. Aber Dave hat einfach nicht mit sich reden lassen.“ Das war der Knackpunkt, seitdem gehen sie getrennte Wege.

Doch sosehr er sich weigert, weiterhin den Clown zu spielen – in manchem ist sich Lowe treu geblieben, ganz auf ironische Untertöne mag er immer noch nicht verzichten. Nach wie vor fehlt der letzte Schliff: Man könnte die eine oder andere Zeile sicher besser schreiben. Hier noch ein wenig feilen, da etwas hinzufügen, auch mal ein bißchen auftrumpfen. Tut er aber nicht, nie. Seine Platten sollen so klingen, als sei er eines schönen Nachmittags ins Studio spaziert und habe mal eben im Vorbeigehen was aufgenommen, erklärt er. „Daß mich das manchmal viel Mühe kostet, kannst du dir sicher vorstellen. Bevor ich ins Studio gehe, singe ich die Songs so lange, bis sie mir vorkommen, als hätte sie ein anderer geschrieben. Dann spiele ich sie meiner Band vor, aber nur ein- oder zweimal. Dann erst nehmen wir sie auf.“ Das Ergebnis: herrlich vorläufige, manchmal etwas tastende, zaghafte Interpretationen, die ihresgleichen suchen. War sein Eklektizismus früher nur Mittel zum Zweck, nimmt Lowe die Genres heute ernst: Country ist für ihn kein Cowboy- Outfit mehr, kein Vorwand für Späße. Je älter er wird, desto älter auch die Quellen: Jazz, Blues und Country statt Sixties-Pop. Das dürfte vor allem die Eltern freuen, denen er das Album gewidmet hat. Hanne Wiesener

Nick Lowe: „Dig My Mood“ (demon/edel contraire)

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