: Inselchronik II.
1995 Das Amt für Strom- und Hafenbau genehmigt die Hafenerweiterung und ordnet Sofortvollzug an. Umweltschutzverbände, Grundeigentümer und Mieter aus Altenwerder klagen. Ein Finanzierungskonzept fehlt weiterhin. Benötigt werden, das belegen vertrauliche Papiere der Hamburger Wirtschaftsbehörde, mindestens 836 Millionen Mark. Eine von der Wirtschaftsbehörde in Auftrag gegebene Studie zur Wirtschaftlichkeit der Hafenerweiterung zeigt: Der Ausbau der Elbinsel Altenwerder könnte Hamburg Millionenverluste bescheren.
1996 Zu Jahresbeginn verkaufen vier der fünf letzten Eigentümer ihre Grundstücke an ein Tochterunternehmen der stadteigenen Hamburger Hafen- und Lagerhausgesellschaft (HHLA). Nur noch ein Grundeigentümer, ein Mieter und verschiedene Umweltschutzverbände halten ihre Klagen aufrecht. Ende März verfügt das Verwaltungsgericht den Baustopp für die Hafenerweiterung. Begründung: Der Planfeststellungsbeschluß sei wegen „erheblicher Planungsfehler rechtswidrig“. Die bereits begonnenen Baggerarbeiten werden vorübergehend gestoppt. Die Wirtschaftsbehörde legt Rechtsbeschwerde ein. Altenwerder wird verkehrstechnisch isoliert: Mit dem Sommerfahrplan stellt der Hamburger Verkehrsverbund die Fährverbindung zur Insel weitestgehend ein.
23. September 1996 Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht gibt der Hafenerweiterung grünes Licht. Der erstinstanzliche Beschluß wird aufgehoben. Begründung: Die Abwägung zwischen naturschutzrechtlichen und wirtschaftlichen sowie öffentlichen und privaten Belangen sei „rechtsfehlerfrei“. Einer der Kläger legt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Wirtschaftsbehörde läßt in Altenwerder Bäume fällen, Deiche einreißen. Die Altenwerder Schiffswerft muß ihren Standort verlagern. Ein Finanzierungskonzept liegt immer noch nicht vor.
1997 Altenwerder gleicht einer Mondlandschaft. Nur noch zwei Familien und ein Lebensmittelladen sind geblieben. Als im Mai eine drei Meter dicke Sandschicht aufgespült werden soll, ziehen die widerständigen Familien ihre Klagen zurück und schließen mit der Stadt einen Vertrag, bis spätestens zum 1. Mai 1998 die Insel zu verlassen. Die Stadt entschädigt sie mit erheblichen Geldsummen, über deren Höhe Stillschweigen vereinbart wird. Der Weg für Altenwerder ist nun juristisch frei. Gleichzeitig präsentiert der damalige SPD-Bürgermeister Henning Voscherau seine jahrelang geheimen Pläne für eine Hafencity: Teile des stadteigenen, innenstadtnahen Hafens südlich der historischen Speicherstadt – ein Gebiet fast so groß wie die Hamburger Außenalster – sollen bis 2040 der Innenstadt einverleibt werden. Die Grundstücksverkäufe sollen unter anderem Altenwerder finanzieren. Die GAL-Opposition protestiert zunächst, doch Altenwerder spielt im Wahlkampf kaum noch eine Rolle: Die Bagger haben längst entschieden. Und so stimmt die Regierungspartnerin in der rot-grünen Koalition, die Grün-Alternative Liste, im Herbst dem Finanzierungsplan weitestgehend zu.
Frühjahr 1998 Die Bauarbeiten in Altenwerder sind in vollem Gange. Die letzten Bewohner bereiten ihren Umzug vor. HH
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