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Schnellschnellschnell

■ Marianne Gronemeyer berichtete im KITOkolleg „Zeit“über die Erfindung der Eile

Zuweilen, sagte Marianne Gronemeyer, ringe sie mehrere Tage um ein einziges Wort. Mit zunehmend schlechterer Laune schleiche sie dann um ihren Schreibtisch, auf der enervierenden Suche nach der Formulierung, die ihrem Text an dieser Stelle angemessen sei. Nicht wenige würden sagen, Marianne Gronemeyer vergeude nutzlos ihre Zeit. Unsereiner etwa füllt, während die Wuppertaler Erziehungswissenschaftlerin nach einem einzigen Wort sucht, beispiellos zeiteffektiv ganze Zeitungsseiten. Nur: Warum tun wir das so schnell?

Nicht, weil es den Dingen angemessen ist. Sondern weil die Uhr es befiehlt; weil um 19 Uhr Redaktionsschluß ist und Sie am nächsten Tag tendenziell lieber auf Buchstaben als auf leere Seiten blicken möchten. Aber zuweilen beschleicht auch uns das Gronemeyerische Gefühl: Das Thema, das einen gerade beschäftigt, vertrüge etwas mehr – Zeit. Aber gerade davon, so wußte Gronemeyer im gutbesuchten KITO in ihrem KITOkolleg „Zeit“-Vortrag wunderschön zu erzählen, hat der moderne Mensch nie genug. Denn er muß sterben und glaubt nicht mehr, daß danach alles so wunnebar ist, wie es uns der Herr vor 2.000 Jahren einzureden versucht hat.

Wer erinnert sich nicht an Hale Bopp, jenen Himmelskörper, nach dem sich im vergangenen Jahr jedes Menschenkind allabendlich den Hals verrenkt hat. Niemand von uns wird die nächste Verabredung mit dem Kometen einhalten können. Denn in 2379 Jahren, wenn Hale Bopp wieder unseren Planeten streifen wird, sind wir alle längst vergammelt und vergessen. Hale Bopp hat uns vor Augen geführt, was für ein jämmerlich kleiner Fliegenfurz unsere Lebenzeit doch im Angesicht der Rhythmen ist, in denen das Weltall vor sich hin zu existieren pflegt.

Das deprimiert. Irgendwie. Und deshalb, so Gronemeyer, versuchen wir, unter Einsatz unseres geballten technologischen Wissens und Maschinenfuhrparks die begrenzte Lebensspanne zu effektivieren. Wenn wir schon chronisch zu wenig Zeit haben, dann wollen wir sie wenigstens optimal genutzt wissen. Deshalb jetten die Menschen, den Grünen zum Trotz, von einem Kurzurlaubsort in den nächsten, und noch der Arbeitslose wird durch ungezählte Fortbildungskurse auf der Suche nach der Rechtfertigung seines ansonsten für nutzlos gehaltenen Daseins geschickt. Zeit zu haben – das ist der schlimmste Makel moderner Menschen. Doch: Die Eile hat, wie ein kluges türkisches Sprichwort lehrt, der Teufel erfunden. Die Sau.

Zu jeder Zeitoptimierungsbilanz gesellt sich schließlich die entsprechende Verlustrechnung. Wo Goethe einst Monate brauchte, um ins Zitronenblühland zu kommen (und sich dabei trotzdem über die irrsinnige Reisegeschwindigkeit der Postkutschen beklagte), genügen uns heute ein paar Stunden. Doch der Eile wird auch der Raum geopfert, der nötig ist, um wirkliche Erfahrungen machen und nicht bloß flüchtige Impressionen haben zu können. Noch im Gefühl, erst beim Anblick der Fotos zu merken, daß der Urlaub eigentlich eine gute Gelegenheit gewesen wäre, etwas zu erleben, schimmert das Wissen um den Preis der Eile durch.

Angesichts der omnipräsenten Beschleunigungsphantasien war Marianne Gronemeyers Bild von der Zukunft nicht sehr optimistisch. Irgendwann werden wir das Reich der lästigen Notwendigkeiten hinter uns gelassen haben und im Reich der Freiheit angekommen sein. 24 Stunden Freizeit. Doch keiner weiß mehr etwas mit ihr anzufangen: Alles haben wir verlernt und an zeitersparende Maschinen delegiert, als Analphabeten des Lebens stolpern wir durch den Tag. Und Hale Bopp werden wir trotzdem nicht mehr sehen. Weil wir doch sterben müssen – diesmal vor Langeweile. Was für eine Verschwendung. Des Lebens. zott

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