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„Die Vorliebe der SPD für das Laue“

■ Ein Portugiese im Jahr 1920 in Deutschland: Peter Hanemann stellt ihn heute vor

Die Bremer Stadtbücherei verwahrt gleich mehrere Herren mit Namen Ribeiro, allesamt aber aus Brasilien: einen Darcy, Joao Ubaldo und Julio. Aquilino dagegen fehlt. Kein Wunder: Erst einmal, im Jahr 1965, wurde ein Aquilino-Roman in Deutschland publiziert. Und das, obwohl der Mann im dtv-Lexikon als Verfasser „des Meisterwerks des portug. pikaresken Romans“gerühmt wird und auch Kindlers erhabenes Literaturlexikon ihm drei Seiten widmet. Für den Nobelpreis wurde der Kämpfer gegen die Salazar-Diktatur auch schon mal nominiert. Wieder so ein Beispiel für die ambivalente Wertschätzung von Autoren aus Miniländern.

Da mußte schon ein Peter Hanenberg kommen, um ein kleines Juwel zu heben. Der Literaturwissenschaftler, der im portugiesischen Viseu deutsche Literatur lehrt und mit einer Portugiesin verheiratet ist, übersetzte das Tagebuch einer zweimonatigen Deutschlandreise dieses Portugiesen, der 1913 im Pariser Exil eine Deutsche heiratete – wunderbare Achsensymmetrie der Grenzüberschreitungen. Titel des 1997 im Bremer Atlantisverlag erschienenen Reiseberichts: „Deutschland 1920. Eine Reise von Portugal nach Berlin und Mecklenburg.“

Vor gut zwei Jahren hat ein ganz anderes Buch die Chancen und Risiken eines literarischen Blicks aus der Fremde dokumentiert. Peter Handkes „Gerechtigkeit für Serbien“nervte einerseits durch seine Poetensensibilität, die flüchtige, sinnliche Wahrnehmungen immer gleich ins politisch Allgemeine hochrechnete, und beeindruckte andererseits durch die Resistenz des Außenseiters gegenüber der verlogenen, herrschenden Gut-Böse-Jugoslawien-Berichterstattung.

Auch Aquilino Ribeiro nähert sich der Weimarer Republik mit dem geschmäcklerisch symbolisch-allegorischen Blick des Schriftstellers. Aus ein paar Satzfragmenten und Blickkreuzungen im Zugabteil meint er, die Mentalität der kriegsgebeutelten Deutschen begreifen zu können. Mit Metaphern und bisweilen verzwicktem Satzbau will er sich in die verzwickte Zeit der Straßenschlachten, politischen Morde und inflationären Selbstmorde bohren. Vermengt mit einer Vielzahl interessanter (oft ein wenig verdächtig hochgestocher) O-Töne von Taxifahrern, Buchhändlern, Profs und vielen anderen Berufsgruppenexemplaren sowie mit kleinen Päckchen historischer Hintergründe (Karl von Badens Verkündigung der Abdankung Wilhelms II. am 9. November 1918 u.a.) schält sich aber bald ein interessantes Bild heraus. Schon 1920 erkannte der Portugiese glasklar, daß dieser schlurfende, leise sprechende, vergrämt dreinblickende Deutsche der Zeit nach dem Versailler Vertrag brandgefährlich ist: „Wenn er sich gestärkt hat, zieht er wieder in den Kampf.“

Wegen dieses Ergebnisses wurde Ribeiros Deutschlandstudie 1935 ein zweites Mal in Portugal veröffentlicht: als frühe, weitsichtige Erklärung des deutschen Faschismus. Mitschuldig am Versailler Vertrag und am materiellen Elend der Deutschen ist für Ribeiro die „Vorliebe für das Laue“der deutschen Sozialdemokratie. Die alte Furcht anzuecken (sowohl bei den Allierten als auch bei den Etablierten des eigenen Landes), verhinderte die Umverteilung von Land und Reichtum. Das ist für deutsche Leser natürlich nichts Neues. Neu sind aber vielleicht die hungernden, gierig glotzenden Menschentrauben vor den verlockenden Restaurantschaufenstern Berlins; oder Ribeiros schöne, in Berlin erworbene gelbe Stiefel aus den Lederersatzstoffen Papier und Lack.

Was sieht ein Fremder? Hanemann: „Teils mehr, teils weniger als der Insider. Ribeiro hat nicht den vorgefaßten Blick eines Tucholsky, der genau wußte, wo er hinwollte.“ Barbara Kern

28. März, 19 Uhr, Café Use Akschen am Pier 2. Buch: 34 Mark

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