: Vom Größenwahn in der Unterwelt
■ Mythos, unglaublich modern: Christof Loy inszeniert mit Glucks „Orpheus und Eurydike“seine vierte Oper im Theater am Goetheplatz
Morgen abend hat Christoph Willibald Glucks „Orpheus und Eurydike“unter der musikalischen Leitung von Rainer Mühlbach im Theater am Goetheplatz Premiere. Mit dieser Oper präsentiert der Regisseur Christof Loy nach Brittens quirligem „Peter Grimes“, Massenets subtilem „Werther“, Ponchiellis gesellschaftkritischer „La Gioconda“seine vierte Einstudierung. Die 1762 unter dem Originaltitel „Orfeo“in Wien geschriebene Oper ist das erste Beispiel der folgenschweren Opernreform Glucks, mit der er die starren Personen- und Szenentypologien ändern wollte: Er wollte Einfachheit, Wahrheit, Natürlichkeit, er wollte „große und einfache Empfindungen“. Was Christof Loy will, verrät er der taz.
taz: Orpheus ist ja nicht irgendein Thema, sondern eine der berühmtesten Mythen überhaupt. Für was steht dieser Mythos, zunächst einmal unabhängig von der Vertonung durch Christoph Willibald Gluck?
Christoph Loy: Er handelt von der Wirkung der Musik, von der Macht der Musik auf Menschen. Und dann: Was ist ein Musikschöpfer für ein Mensch, für ein Übermensch vielleicht.
Klaus Theweleit verficht in seinem „Buch der Könige“die These, daß es künstlerische Produktionen nur auf dem Rücken von Opfern gibt, die in der Regel Frauen sind. Er macht das programmatisch fest am Orpheus-Mythos. Spielt eine solche Ansicht in Ihrer Interpretation eine Rolle, ist Eurydike eine Person oder der Anlaß für den Künstler, schön zu singen und Kunst zu machen?
Genau das ist es: Denn die Geschichte ist unglaublich modern, es ist eine zeitlose über Mann und Frau. Bei Gluck entsteht die Inspiration durch den Verlust. Orpheus ist getrieben von seinem Bedürfnis, sich auszudrücken. Schon der Gang in die Unterwelt hat damit zu tun. Natürlich ist aber seine Trauer auch ehrlich – es geht letztendlich um diese Ambivalenz beim Künstler.
Wann und wo spielt dann Ihre Interpretation?
Vor diesem Hintergrund natürlich hier und heute. Das ist aktuell: Was geht eigentlich in ihm vor, während er das intimste, die Trauer, öffentlich und auf Zustimmung aus produziert? Und dann wird er noch mit den Forderungen seiner Ehefrau konfrontiert, wo er sich doch so groß in der Einsamkeit fühlte, so göttergleich – er ist meiner Meinung nach dem Größenwahn nahe.
Welche Auswirkung hat das auf die Interpretation des berühmtesten Stückes, der Arie „Ach ich habe sie verloren“? Sie ist in ihrer kompositorischen Qualität ja seit jeher umstritten, die Urteile bewegen sich zwischen „katastrophal simpel“und eine „Wahnsinnsarie“.
Bei mir ist es eine Wahnsinnsarie.
Herr Loy, zur wichtigen Frage der Fassung: Wir haben die Wiener Fassung von 1762, die für einen Kastraten in der männlichen Hauptrolle geschrieben ist. Und dann gibt es die Pariser Fassung von 1774 für einen Tenor mit der Erweiterung einiger Musiknummern. Welche ist in Bremen zu hören?
Wir spielen die Pariser Fassung in der Bearbeitung von Hector Berlioz. Der hat die Altstimme in die französische Fassung wieder zurückgebracht, weil die damals berühmte Pauline Viardot den Orpheus sang. Die tenorale Bravour-Arie bleibt zu hören, die sowieso kaum ein Tenor singen kann ...
Leopold Simoneau und Nicolai Gedda ...?
Die beiden ja, aber im normalen Opernbetrieb hat man diese Tenöre nicht mehr. Die Viardot konnte das singen und unsere Fredrika Brillembourg als Orpheus kann das auch. Darüber hinaus hat Berlioz weniger „bearbeitet“als wirklich an den Quellen rekonstruiert, ein ganz modernes Verfahren eigentlich. Er hat ja Gluck ungeheuer bewundert. Und ich bin außerdem der Meinung, wenn man schon kein historisches Orchester hat, ist die Berlioz-Bearbeitung absolut richtig.
Wie steht es denn mit dem „lieto fine“, dem „glücklichen Ende“, jenem Relikt aus der alten Opern-ästhetik, die Gluck ja eigentlich ausmerzen wollte und das dann doch nicht schaffte.
Auch das ist in der Pariser Fassung glaubwürdiger. Denn sie endet – mit Amor zusammen – mit einem zutiefst beunruhigenden Terzett: Zu viel ist passiert, es wird nicht mehr so sein können wie früher.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Premiere Sonntag, 19.30 Uhr, im Theater am Goetheplatz
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