■ Lesen zu New York: Ein Streifzug
Die Stadt kann eigentlich nur Mythos sein. Melting Pot, Big Apple oder wie auch immer die Etikette lauten, denen schon im Englischlehrbuch keiner entkommt. Auch die Literatur erliegt der Anziehungskraft und schreibt sich ein. Oskar Maria Graf war hier („Briefe aus New York 1950–1962“), Wolfgang Koeppen, als er keine Romane mehr schreiben konnte und sich deshalb auf Reiseberichte spezialisierte („Amerikafahrt“), sogar Kommissar Maigret, als in Paris mal nichts los war („Maigret in New York“).
Als literarischer Inbegriff New Yorks gilt in Europa Paul Auster („New York Trilogie“). In den USA – wen nimmt es wunder – hält man ihn für einen europäisierten Schriftsteller.
Die schweizerische Kulturzeitschrift du hat eine Ausgabe dem Thema „New York und Literatur“ gewidmet. Glänzend eingeleitet durch einen Essay von Durs Grünbein. Die Redakteurin Barbara Basting besucht den Buchsupermarkt Barnes & Nobles, wo die Masse der Bücher die Literatur erdrückt, das renommierte Verlagshaus Alfred A. Knopf, wo man unter New Yorker Literatur ausgerechnet die eigenen Titel versteht, den New Yorker, das wichtigste Kulturblatt der Stadt, wo man slam poetry nicht kennt, den aufstrebenden schwarzen Schriftsteller Darius H. James, der sich mit den gegenwärtigen Problemen des „Being Black“ auseinandersetzt.
Einen Genuß für LeserInnen, die Literatur gerne in der Originalsprache lesen, bietet das „Time Out Book of New York Short Stories“. Time Out ist das Londoner Stadtmagazin, seit drei Jahren mit einem Ableger in New York. 23 exzellente Kurzgeschichten, von, über und mit New York. Die Anthologie bietet eine Fülle von Assoziationen, die sich mit New York verbinden.
Und noch ein Hinweis für alle, die glauben, die Medien seien sowieso an allem schuld: Der Berliner Soziologe Stefan W. Elfenbein hat sich das liberale Traditionsmedium der Vereinigten Staaten zur Brust genommen: die New York Times. In dem sehr gut geschriebenen Buch stellt er die These auf, daß es mit dem Anspruch der Times, die demokratisch legitimierte Vierte Macht im Staate zu sein, die die Geschäfte der Regierung kritisch verfolgt, nicht mehr weit her ist und – bei näherem Hinsehen – nie weit her war. Ihre eigentliche Aufgabe, die Informationspflicht gegenüber den Bürgern, hat die New York Times stets hintangesetzt, wann immer es ihr im Dienste des Staates für die Bürger das beste schien. Aufklärung rangiert in der liberalen Hochburg hinter väterlicher Fürsorge. Martin Hager
„du“, Heft Nr. 4, April 1994, 104 S., 16 DM
„The Time Out Book of New York Short Stories“, Penguin 1997, 236 S., 21 DM
Stefan W. Elfenbein, „The New York Times. Macht und Mythos eines Mediums“. Fischer 1996, 267 S. 18,90 DM.
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