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Lohnfortzahlung für Kranke bleibt bestehen

■ Schlichterspruch im öffentlichen Dienst: ÖTV ist zufrieden, Kanther weniger glücklich

Berlin/Stuttgart (dpa/AFP/taz) Bei den Arbeitgebern im öffentlichen Dienst und bei den Gewerkschaften ÖTV und DAG herrschte gestern Erleichterung über den Schlichterspruch im öffentlichen Dienst. Vor der Sitzung der Großen Tarifkommissionen von ÖTV und DAG gestern erklärten mehrere Bezirksleiter der ÖTV, die Einigungsempfehlung sei „akzeptabel“. DAG-Verhandlungsführer Christian Zahn sagte, er werde der DAG den Schlichterspruch als „Grundlage für die Verhandlungen am 2. April empfehlen“. Nächste Woche treten die Tarifparteien zusammen, mit einer Einigung wird aber gerechnet.

Der für die ÖTV wohl wichtigste Punkt des Schlichterspruchs: Die hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die rund 3,2 Millionen Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst bleibt unangetastet. Die Lohnfortzahlung taucht im Schlichterspruch einfach gar nicht auf. Schlichter Hans Koschnick (SPD) erklärte: „Wir wurden deshalb beschimpft, Kollege Kanther ist nicht zu glücklich darüber.“ Angeblich erging der Schlichterspruch gegen den ausdrücklichen Willen des Kanzlers und des Innenministers Kanther. „Kohl ist der Verlierer der Tarifverhandlungen“, hieß es daher gestern in beiden Lagern der Tarifparteien.

Laut dem Schlichterspruch steigen die Löhne und Gehälter rückwirkend ab Januar um 1,5 Prozent, dies entspricht in etwa der erwarteten Preissteigerungsrate. Weil das Weihnachtsgeld auf dem Stand des Vorjahres eingefroren wird, berechnen die Arbeitgeber allerdings einen Lohnanstieg von nur 1,38 Prozent.

Ansonsten wurden die Anliegen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer häppchenweise bedient: Die Einkommen im Osten werden im September zusätzlich um 1,5 Prozentpunkte auf dann 86,5 Prozent des Westniveaus angehoben. Bis Ende 1999 bleibt es dann auf dieser Höhe. Das würde zwar lange Gesichter im Osten hervorrufen, sagte der brandenburgische ÖTV-Chef Werner Ruhnke. Er erwartete gestern nachmittag dennoch, daß die Große Tarifkommission von ÖTV und DAG den Vorschlägen der Schlichtungskomission zustimmt.

Die Arbeitgeber in Bund, Ländern und Gemeinden setzten sich ansatzweise mit ihrem Wunsch durch, die Arbeitnehmer künftig an der zusätzlichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst zu beteiligen. Ab 1. Januar 1999 werden die höheren Beiträge zur Altersversorgung von den Beschäftigten zur Hälfte mitbezahlt. Die Arbeitgeber erhöhen ihre Zahlungen an die Versorgungskasse bereits zum kommenden Juli von 4,8 Prozent auf 5,2 Prozent. Nach Rechenbeispielen könnte diese Quote ab dem nächsten Jahr wegen Lücken in der Versorgung auf rund sieben Prozent der Bruttolöhne steigen. Dann müßten die Beschäftigten fast ein Prozent von ihrem Bruttoeinkommen in die Altersversorgung eingeben. Aus der Versorgungskasse wird die gesetzliche Rente der Versicherten im öffentlichen Dienst aufgestockt.

Zur Altersteilzeit sieht der Schlichterspruch vor, daß die Beschäftigten mit dem Einverständnis der Tarifparteien in den jeweiligen Betrieben ab dem 55. Lebensjahr in Altersteilzeit gehen und dann 83 Prozent ihrer letzten Nettoeinkommen erhalten. Damit wird die gesetzliche Altersteilzeit mit 70 Prozent des Nettoeinkommens noch einmal aufgestockt.

Die Große Tarifkommission entschied gestern nach Redaktionsschluß über den Schlichterspruch, nächste Woche wird darüber zwischen den Tarifparteien verhandelt.

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