: Zyniker entdeckt Blues
■ Das mußte kesseln: Spottmeister Droste in der Kesselhalle
Seit zwölf Jahren, durchsetzt von mehr oder weniger langen Trennungsintervallen, verkörpert Wiglaf Droste in der taz die leibhaftige Antithese. Die betont aufgeklärt, erwachsen und abwägend sich gebende Diskussion in dieser Zeitung um Castor- und Bundeswehranzeigen begrinste er aus zynischer Distanz durch kluge Anzeigenverulkungen. In die unentschiedene, mal sanftest-ironische, mal seltsam machtverehrende Schröderberichterstattung fuhrwerkte er jüngst mit einem glasklaren Schröderhaßgesang hinein. Alle üblichen Vorkehrungen der taz-Klientel, ob Lichterkette oder PorNo-Kampagne, beäugt er mißtrauisch mit seinem fast schon paranoiden Gutmenschen-Verdacht. Und erntet dafür in regelmäßigen Abständen wild summende Leserbriefschwärme oder die klassischen Leserabokündigungs-Erpressungen. Auf seine jüngste Katholikenschelte, die fast schon springerstiefelhart auf die nur teilkeuschen gürtelunterschreitenden Regionen von Priestern eintrat, prasselte dieses Jahr zu Fasching auch tazinterne Kritik nieder. Doch wie in einer solid-verkrachten bürgerlichen Ehe scheinen solche Krisen die Beziehung nur zu festigen.
Bei dem Wust an frei flotierenden, aus allen Richtungen einstürmenden Aggressionsgeschwadern rund herum um die Figur Droste (erst jüngst von Exkumpanen Max Goldt) war mancher vielleicht erstaunt, im Schlachthof einen wohllaunigen, charmanten, unverbitterten, also süßen Wiglaf Droste zu erleben. Schläge schmolzen ein zu Neckereien durch die Wärme von Drostes Stimme. Und die Blues-, Country- und, ja, Liedermachertöne seiner zwei Begleiter ergossen sich über die alltäglichen Kleinbürgereien all der Olivers in unserem Lande, mit und ohne Vornamen Oliver, mit inniger Melancholie. Es hatte einen wundersamen Liebreiz, daß der Verächter jeder Linkssentimentalität mit einer klassischen Lagerfeuerkombo durch die Lande tourt und teilergriffen (was fast so heikel ist wie die oben erwähnte Teilkeuschheit der gehaßten Priesterschaft) seinen Blues dazuschluchzte – übrigens sehr gekonnt. Fast weinen hätte man mögen, als Wiglaf Droste in das Verwirrtheitsbekenntnislied von Danny und Kulle Dziuk mit der Schlüsselzeile „Die Menschen sind seltsam“hineinlauschte, die Kehle mit engelsreinem Mineralwasser benetzte und dann die waidwunden Augen schloß – fast ein wenig selig.
Nicht erstaunen konnten den versierten Titanic- und taz-Leser hingegen Form und Inhalt von Drostes Satiren. In Abständen, so regelmäßig gesetzt wie die Zacken eines Stacheldrahts, piksten Anti-PC-Kundgebungen. Peter Maffay wurde nicht des Spottes für würdig befunden ob der Spärlichkeit seiner Inhalte, sondern lediglich der seiner Körpergröße und seines rumänischen Dialekts. Die Love Parade-Marschierer würde Droste am liebsten auf den Platz des Himmlischen Friedens schicken, zwecks Erschießung. Nur nicht Gutmensch-sein.
Greift sich der standardisierte deutsche Kabarettist seine Satireopfer aus einem von der öffentlichen Meinung längst abgesegneten Pool von Intimfeinden wie rasenden Autofahrern, latztragenden Müslifressern (die bekannterweise längst ausgestorben sind) und Bodybuildern, so durchstöbert Droste lieber die gesellschaftskritischen Sphären bis hinauf zum Dalai Lama. Nur selten, etwa mit Liedern gegen Katholiken, Beziehungsgespräche und – unvermeidlich – die Lehrer, blieb er in der Wahl der Feinde deutlich unter Niveau.
Ein paar Glas Wein nach der dreistündigen Performance, quasi in einem Nach(t)gespräch nach ein Uhr, war Wiglaf Droste leider nicht mehr für trockene Gespräche über Fünf-Liter-Grüne, Fünf-Liter-Grünenschelte, Schröder(n) in der taz und dergleichen tagespolitische, medienkritische Themen zu gewinnen. Statt dessen verrannte er sich in eine Ekellitanei über taz („gekauft“, bis auf die Wahrheitsseite und den Sport „fast immer eine Katastrophe“, „die Neuwestfälische ist moderner“), Grüne („von Anfang an obsolet“), Titanic („schreiben schlechter als Zeitungsvolontäre“) und Max Goldt, mit allen Wahrheits- und Irrtumsanteilen, die sämtlichen Generalabrechnungen naturgemäß innewohnen. Einen Abdruck dieses Interviews verbat er sich. So beschränken wir uns hier auf die Zwei-Uhr-nachts-Erkenntnis, daß mitten im locker-flockigen Spötter ein Weltverneiner von Schopenhauerschen Ausmaßen brodelt. Der macht ihn gemein, manchmal aber auch genial und unverzichtbar. bk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen