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Die Liga Nord wird zum Europa-Gegner

Auf dem Parteitag der norditalienischen Sezessionisten wird die Forderung nach einer Abspaltung fallengelassen. Die Partei bekommt Konkurrenz, sucht neue Verbündete und findet neue Themen  ■ Aus Mailand Werner Raith

Hat der alte Fuchs den Biß verloren? So zahm wie diesmal bei der Eröffnung des Parteikongresses haben Oberitaliens Sezessionisten ihren Chef Umberto Bossi noch nie erlebt. Dabei hatte er eigentlich nicht viel zu fürchten – als Führer der Liga Nord einstimmig per Akklamation bestätigt, befreit von allen hauseigenen Gegnern und dennoch mit einem stabilen 35-Prozent-Wähleranteil im Norden und an die 10 Prozent aufs ganze Land bezogen.

Dennoch: Auf einmal will ihm das sonst in jedem zweiten Satz verwendete Wort „Sezession“ nicht über die Lippen kommen, spricht er nur noch von „Unabhängigkeit“ und versucht das englische Wort „Devolution“ in seine grobschlächtige Diktion angeblich astrein „padanischer“ Sprechweise hineinzufummeln. Denn nun soll Oberitalien – „la Padania“, das die Gebiete rechts und links des Po bezeichnet, aber politisch bis hinauf zum Brenner und bis hinunter nach Florenz reichen soll – zunächst mal nicht mehr per Kalaschnikow „befreit“ werden. So hatte es Bossi noch vor wenigen Monaten in einigen von der Staatsanwaltschaft abgehörten Gesprächen mit Getreuen angekündigt. Vielmehr ist nun das Modell des britischen Premierministers Tony Blair für Schottland gefragt: ein eigenes Parlament, eigene Steuerhoheit, Mitspracherecht bei nationalen Entscheidungen. Und vor allem absolute Kulturhoheit für den „popolo padano“, was immer das auch sein mag. Mehr als ein Drittel der Bewohner Oberitaliens sind erst in den letzten vierzig Jahren aus dem Süden zugewandert.

Der Grund für diese Wende ist durchsichtig. Bossi sucht derzeit nach Alliierten, notgedrungen. Vom Nordosten, eigentlich einem der Stammländer der Liga-Bewegung, droht nämlich Konkurrenz: Massimo Cacciari, Philosoph und linksdemokratischer Bürgermeister von Venedig, hat zusammen mit einer bis weit ins rechte Lager hineinreichenden Bewegung nahezu aller namhafter Stadtoberhäupter Italiens den vordem ausschließlich von der Liga gepachteten Gedanken des Föderalismus aufgegriffen und in wenigen Monaten in eine auch verfassungsrechtlich griffige Form gebracht. Danach soll die Dezentralisierung nicht, wie Bossi es will, durch eine Dreiteilung Italiens (Ober-, Mitte- und Unteritalien) geschehen, sondern mit Hilfe von einem guten Dutzend Regionen gestaltet werden, die jeweils um eine Großstadt herum gebildet werden.

Bossi weiß, daß ihm diese Bewegung zumindest einen Teil seiner Wähler wegnimmt, weil sie einige der Grundforderungen der Autonomiebewegungen erfüllen würde – und das ohne Sezession: die Abkoppelung lebenswichtiger Einrichtungen wie soziale und sanitäre Dienstleistungen vom römischen Apparat, kulturelle Eigenständigkeit und strukturelle Gestaltungsmöglichkeit der Wirtschaft.

Bossi sucht der erstarkenden „Bürgermeister-Bewegung“ durch eine neue Allianz mit der Forza Italia von Silvio Berlusconi zu gebegnen, den er vor drei Jahren selbst gestürzt hatte. Berlusconi, seinerseits derzeit politisch in Not, hat bereits Interesse bekundet und seinen ehemaligen Wirtschaftsminister Giulio Tremonti auf den Kongreß geschickt. Dieser wird auch höchst erfreut empfangen. Bossi vermeidet, solange Tremonti da ist, das Wort Sezessionismus.

Doch dann zeigt sich, daß Bossi derzeit lediglich dabei ist, ein neues Schlachtfeld aufzubauen: Europa. Zu einem Zeitpunkt, wo Italien gerade mit vielen Opfern den Zugang zum Euro geschafft hat, sagt die Liga nun: nix da. „Alle sollen wissen, daß die Poebenen-Republik Europa nur dann anerkennt, wenn Europa die Padania anerkennt!“ ruft der Liga-Abgeordnete Domenico Comino in den Saal und erhält donnernden Applaus: „Das illiberale, antidemokratische Europa, das Europa der Banker, der Finanziers, der Logenbrüder soll wissen, daß es seit heute einen Feind mehr hat: die Padania!“ Drei Minuten kann er nicht weitersprechen, auf soviel Beifall stößt der Antieuropäismus hier. Hunderte von Unternehmern drücken dem Mann die Hand, und sofort nimmt Bossi den Faden auf: „Solange Europa Süditalien, dieses Land der Schmarotzer, mit aufnehmen will, werden wir nicht in dieses Europa eintreten.“ Wer sich zur „Padania“ zählt, soll daher fortan als „Padanischer Patriot, als padanischer Nationalist dieses Europa bekämpfen.“

Bossi trifft dabei auf eine keineswegs nur auf die Liga beschränkte Stimmung. Eine landesweite Umfrage hat kürzlich ergeben, daß lediglich 35 Prozent der Italiener die von Bossi angekündigte Einführung einer eigenen Währung – just in Zeiten des Euro – für ein Unding halten.

„Europa hat sich angewöhnt, die Liga-Gelüste als inneritalienische Angelegenheit anzusehen“, kommentiert La Repubblica, „seit diesem Kongreß, so scheint es, wird die Liga zum europäischen Problem. Man sollte es nicht zu leicht nehmen.“

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