: „Die Regierung in Seoul soll sich entschuldigen“
Fünfzig Jahre nach dem Massaker auf der südkoreanischen Insel Cheju dringt die Wahrheit nur langsam an den Tag ■ Aus Seoul Dirk Godder
Der südkoreanische Dokumentarfilm „Red Hunt“ (Rote Jagd) von 1997 beginnt mit der Spurensuche auf der Insel Cheju. In einer Höhle werden Überreste gezeigt, die auf ein Massaker vor 50 Jahren auf dieser größten Insel des Landes hinweisen. Anhand der Aussagen noch lebender Zeugen sowie filmischer Dokumente der US-Armee versucht der Film, Licht ins Dunkel eines der tragischsten Abschnitte der Geschichte Süd-Koreas zu bringen.
An diesem Freitag ist der 50. Jahrestag des Aufstandes vom 3. April 1948 auf Cheju, der sich gegen die Bildung einer vom Norden der koreanischen Halbinsel getrennten Regierung im Süden richtete. Rund 500 Mitglieder einer Guerillagruppe griffen damals öffentliche Einrichtungen an. Sie wollten dadurch ihrer Forderung nach einem geeinten Korea und ihrem Protest gegen separat abgehaltene Wahlen in beiden Teilen des Landes Ausdruck verleihen, die die Teilung der Halbinsel endgültig besiegeln würden. Der Aufruhr richtete sich auch gegen den Terror von Polizei und ultrarechten Verbänden, die zuvor vom Festland zur Einschüchterung der Bevölkerung auf die Insel vor der Südküste Koreas geschickt wurden.
Bürgerrechtler bemühen sich um Aufklärung
In der Folge des Aufstands gingen koreanisches Militär und Polizei unter den Augen und mit der Duldung des US-Kommandos auf Cheju brutal gegen die Inselbewohner vor, in deren Reihen sie Kommunisten vermuteten. Zwischen Oktober 1948 und April 1949 fielen laut Schätzungen von Historikern rund 30.000 von insgesamt 300.000 Bewohnern der Unterdrückungsaktion zum Opfer. Über 150 Dörfer wurden damals zerstört. Viele der Bewohner versuchten in die Berge, auf das Festland oder nach Japan zu entkommen. Man schätzt, daß etwa 140.000 Menschen, fast die Hälfte der Inselbevölkerung, auf der Flucht waren. Das Massaker nahm erst ein Ende, als die Amerikaner im Mai 1949, rund ein Jahr vor dem Ausbruch des Korea-Kriegs, ihre Verbände abzogen.
Noch immer sind die Vorfälle von damals selbst unter Süd-Koreanern kaum bekannt, können historische Dokumente darüber nur mühsam zutage gefördert werden. Von offizieller Seite wurden die Ereignisse bisher mit einem Mantel des Schweigens umhüllt. Seit Jahren versuchen deshalb Historiker, Bürgerorganisationen und Journalisten aus Cheju, Aufklärungsarbeit zu leisten und ein Unrechtsbewußtsein für die damaligen Vorgänge zu schaffen.
„Wir wollen, daß die Regierung sich für die damaligen Ereignisse entschuldigt“, sagt der Lehrer Yang Hong Keon vom Nationalen Bürgerkomitee zum 50. Jahrestag von „Cheju 4.3“, wie es auf koreanisch heißt. Weitere Forderungen der Menschen von Cheju lauten: die volle Aufdeckung der Wahrheit, die Richtigstellung der Geschichte sowie die Wiederherstellung der Ehre der Einwohner. Auch die USA werden dazu aufgefordert, ihre Mitschuld einzugestehen. Seit der Installierung des „US Army Military Government in Korea“ (USAMGIK) 1945 kontrollierten sie den Süden Koreas, während im Norden die Sowjetunion ihren Machtbereich sicherte.
Die bisherigen Regierungen in Seoul wurden beschuldigt, eine öffentliche Diskussion über „Cheju 4.3“ gezielt zu unterdrücken. Erst mit der Einsetzung einer neuen Regierung Ende Februar dieses Jahres scheint sich eine Veränderung anzubahnen. Der regierende „Nationalkongreß für Neue Politik“ (NCNP) unter dem neuen Präsidenten Kim Dae Jung hat sich für die Bildung eines Sonderausschusses zur Aufdeckung der Wahrheit über den Aufruhr auf Cheju und dessen Folgen ausgesprochen. Wie schwer sich die Behörden mit den Ereignissen von Cheju tun, zeigte zuletzt ihr Verhalten im Zusammenhang des Films „Red Hunt“.
Filmvorführungen werden behindert
Wo immer der Film öffentlich vorgeführt werden soll, tauchen unvermutet Sicherheitskräfte auf, beklagt Regisseur Cho Sung Bong. Nachdem der Film im vergangenen Oktober auf einem Menschenrechts-Filmfestival in Seoul gezeigt worden war, wurde der Hauptorganisator des Festivals, Suh Jung Sik, verhaftet. Er wurde von den Behörden beschuldigt, gegen das Nationale Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben und pro-nordkoreanisches Material zu besitzen. Suh ist Anfang Februar auf Kaution freigekommen. Und als der Film im Februar auf den Berliner Filmfestspielen lief, durfte der Regisseur nicht ausreisen.
Cho Sung Bong hofft, seine Dokumentation über die Ereignisse von Cheju in seinem nächsten Film fortsetzen zu können. Eigentlich wollte er vor der Arbeit zu „Red Hunt“ einen Film über den pro-demokratischen Aufstand in der Stadt Kwangju vom Mai 1980 drehen, sagt 36jährige Regisseur. Doch sei er bei den Vorbereitungen des Projekts auf die Vorfälle von Cheju gestoßen. Dabei, so meint er, habe er die Wurzeln des Volksaufstands in Süd-Korea entdeckt.
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