: Uran statt Tulpen an Bord
Beim Flugzeugabsturz in Amsterdam wurde 1992 abgereichertes Uran freigesetzt. Woher es stammt, ist unklar. Immer mehr Menschen erkranken ■ Aus Amsterdam Jeannette Goddar
Jetzt steht schwarz auf weiß geschrieben, was nicht nur Anwohner und Flughafenpersonal seit Jahren vermuten: Bei dem katastrophalen Absturz einer israelischen Boeing 747 auf das Amsterdamer Wohngebiet Bijlmer im Oktober 1992 wurde in größeren Mengen abgereichertes Uran freigesetzt. Das ist sowohl als Gift als auch wegen seiner leicht radioaktiven Strahlung krankheitserregend. Forscher des schwedischen Instituts „Biospectron“ stellten bei drei von fünfzehn untersuchten Personen, die sich länger an der Absturzstelle aufhielten, deutlich erhöhte Uranwerte fest.
Gesundheitsministerin Els Borst will aufgrund der Ergebnisse eine umfangreiche Untersuchung in Auftrag geben. Nicht zuletzt darum kämpfen Bürgerinitiativen und Anwohner seit 1993. 70 Bewohner der Satellitenstadt prozessieren seit Jahren um Schmerzensgeld. Viele von ihnen leiden unter diffusen Symptomen, die von Medizinern mit denen des Golfkriegssyndroms verglichen werden. Ärzte in Bijlmer konstatieren außerdem eine wachsende Anzahl von Fehl-, Früh- und Mißgeburten.
Erst ein Jahr nach dem Absturz war von der Presse ans Tageslicht gebracht worden, daß in den Tragflächen der abgestürzten Boeing 747,390 Kilogramm Uran verbaut worden waren. Von den niederländischen Autoritäten war immer bestritten worden, daß von dem Wrack irgendeine Gefahr ausgehe. Im vergangenen Herbst wurde in dem Hangar, in dem die Wrackteile aufbewahrt wurden, leicht erhöhte Radioaktivität gemessen. „Was jetzt ans Tageslicht gekommen ist, ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt der Vorsitzende der Initiative „Stiftung Zukunft“, Hans de Jonge. „Wir müssen uns darauf einstellen, daß in den kommenden 20 bis 30 Jahren Menschen an Lungenkrebs sterben.“ Bijlmer ist eins der sozial schwächsten Wohngebiete der Niederlande mit einem hohen Anteil an Immigranten. Nur die wenigsten haben sich bisher ärztlich untersuchen lassen.
Die Erkenntnisse der schwedischen Forscher heizen aber nicht nur die Debatte um eine Entschädigung wieder an, sondern auch die Spekulationen darüber, was das abgestürzte Frachtflugzeug eigentlich an Bord hatte. Sie reichen von Plutonium bis zu einer „fliegenden Chemiefabrik“.
Holländische Tulpen, soviel ist inzwischen klar, hatte die Maschine jedenfalls nicht geladen. Diese Antwort hatte die israelische Fluggesellschaft El Al unmittelbar nach dem Absturz gegeben. Der niederländische Fernsehsender Nova präsentierte inzwischen Dokumente, aus denen hervorgeht, daß die Maschine jede Menge Metall geladen hatte. „Walkmen“, hieß es dann bei El Al und beim niederländischen Reichsluftfahrtdienst, und später: „Ersatzteile für Motoren“.
Vieles an dem Absturz ist nach wie vor unklar: Wenige Minuten nach dem Start in Schiphol hatte die Boeing 747 bei ihrem Flug nach Tel Aviv über dem Ijsselmeer auf der rechten Seite zwei Triebwerke verloren. Der Pilot kehrte um, schaffte es nicht bis nach Schiphol und inszenierte eine Tragödie, deren Ausmaße nicht einmal bekannt sind: 39 Tote wurden identifiziert und 250 Menschen als vermißt gemeldet – in einem Wohngebiet, in dem Tausende illegale Einwanderer leben. Als die Stadtregierung eine „Generalamnestie“ versprach, damit sich auch Illegale meldeten, gab es plötzlich mehrere tausend Opfer aus aller Welt.
Viele Fragen blieben unbeantwortet. Warum wollte der Pilot um jeden Preis nach Schiphol zurück, anstatt im Ijsselmeer notzulanden? Wer waren die weißgekleideten Männer, die Augenzeugen an der Absturzstelle mit ein paar Dingen unter dem Arm haben weglaufen sehen? Warum bleiben die Frachtbriefe bis heute unter Verschluß? Und vor allem: Warum tauchte der Flugschreiber nie auf, obwohl das Gebiet sofort weiträumig abgesperrt wurde?
Längst sind die ersten Thriller auf dem Markt: Der Autor Tomas Ross bringt in „Der Flug des 4. Oktober“ den Absturz gleich mit einem ganzen Knäuel von Verschwörungen in Verbindung: Mossad, CIA und geheime Kokaintransporte. Doch immer mehr Niederländer glauben, daß die Realität noch spektakulärer als die Fiktion gewesen sein dürfte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen