Kommentar
: Verzweifelte Vorführung

■ Wahlkampf: Die CDU setzt im Osten auf Themen von vorgestern

Helmut Kohl hätte doch besser daran getan, wenn er in den letzten Wochen seinen „General“ in den vorzeitigen Ruhestand geschickt hätte. Seit gestern wissen wir, daß die „platte Tankstellenkampagne“ (Biedenkopf) von Peter Hintze im Vergleich zu dem, was der Kampagnenchef der CDU sonst noch so in der Pipeline hat, eine hochkomplexe Bündelung kommunikativer Intelligenz war. Die versuchte Breitseite gegen Gerhard Schröder, die Hintze im Verein mit Bernhard Vogel gestern abschoß, dürfte sich zu einer veritablen Kettenreaktion von Rohrkrepierern entwickeln. „Verdeckte Verführung“ heißt die Broschüre, mit der die CDU im Osten Wahlkampf machen will. Dort werden die wahren Beweggründe der PDS und des Gerhard Schröder enthüllt. Mit dem Papier nimmt die CDU eine Situation vorweg, von der sie offenbar hofft, daß sie in Sachsen-Anhalt eintritt – die Grünen verpassen den Einzug in den Landtag, und Höppners SPD bildet eine Minderheitsregierung, die sich von der PDS tolerieren läßt. Um zu belegen, daß Schröder durchaus fähig wäre, eine solche Teufelei zu dulden, wird tief nach Zitatschätzchen gegraben. Und siehe da, Schröder ist ein Feind der Einheit, der dem Ostler nichts gönnt und zur Not mit jedem paktiert, wenn's nur seiner eigenen Macht dient. Fürwahr, eine Enthüllung, die den WählerInnen im Osten vermutlich den Angstschweiß auf die Stirn treiben wird. Diese investigative Hochleistung der CDU zeigt in Tat und Wahrheit nur eins: Hintze fällt rein gar nichts mehr ein, wie er seinen Laden im Osten noch verkaufen könnte. Die Leute sind vom Kanzler der Einheit zutiefst enttäuscht, die blühenden Landschaften fallen Kohl auf die Füße, und der Wahlkampfleiter kommt mit nichts als alten Kamellen. In den Umfragen rangiert die CDU in Sachsen-Anhalt zur Zeit gleichauf mit der PDS bei 22 Prozent. Gysi träumt bereits davon, die Union zu überrunden – ein CDU-Debakel ohnegleichen, und da findet ihr Generalsekretär heraus, daß Gerhard Schröder „die moralische Rechtfertigung fehlt, sich für die Kanzlerschaft im vereinten Deutschland zu bewerben“. Da kann man nur staunend den Kopf schütteln. Wenn das so weitergeht, kann man Hintze nur empfehlen, sich eine rote Socke über den Kopf zu ziehen, um möglichst unerkannt in die westdeutsche Provinz zu fliehen. Die „Verdeckte Verführung“ ist in Wahrheit eine verzweifelte Vorführung. Jürgen Gottschlich