: Sportliche Modernisierungsverlierer
Der AFC im freien Fall: Altona 93 kämpft erneut gegen den Abstieg ■ Von René Martens
In der weiten Welt des Regionalliga-Fußballs, in Hannover etwa oder in Braunschweig, gibt es Männer, die bei Auswechslungen Tafeln mit Rückennummern hochhalten. Oder Auswärtsblocks, in denen mehr Ordner als Fans stehen. In der beschaulichen Welt der Hamburger Verbandsliga dagegen, zum Beispiel in Börnsen, gibt es einen Straßenbahnwagen, der einfach so am Rande des Spielfelds herumsteht. Oder es lockt, wie am Harburger Rabenstein, zur Halbzeit die Sitzecke einer Freiluft-Veranda, die geschmückt ist mit vergilbten Mannschaftsbildern.
Spieler und Fans von Altona 93 lernten diese beiden Welten innerhalb eines Jahres kennen – hatte sich der Club doch gegen Ende der vorigen Saison entschieden, aus finanziellen, wenn auch nie ganz zu durchschauenden Gründen nach dem Abstieg aus der 3. Liga nicht eine, sondern gleich zwei Klassen tiefer zu spielen. Weil die zum Vorjahr erheblich geschwächte Mannschaft zu Beginn der Saison verunsichert kickte und dann auch noch ein enormes Verletzungspech über sie hereinbrach, droht dem Club mit der großen Vergangenheit jetzt schon wieder der Abstieg – diesmal in die 6. Liga. Zwar lief es seit Ende der Winterpause besser, nachdem die Elf mittels eines Streiks durchgesetzt hatte, daß die Spieler Thorsten Koy und Roy Witte künftig auch als Trainer fungieren. Doch am vergangenen Samstag dämpfte eine verheerende 1:6-Niederlage in Börnsen den Optimismus beim Tabellenzwölften.
Trotz des rasanten Falls kann sich der AFC nach wie vor auf seine Anhänger verlassen. Sie kommen, weil sie wissen, daß man nur einmal im Fan-Leben zwei Klassen tiefer fällt. Oder weil sie sich dem Charme der Adolf-Jäger-Kampfbahn, die benannt ist nach einem der besten deutschen Mittelstürmer, nie wieder entziehen werden können.
Vielen Melancholikern, die man dort trifft, ist die jüngere Geschichte des AFC an den Gesichtern abzulesen: dem Dunkelrotnasigen mit der Baskenmütze und der beschlagenen Brille zum Beispiel, der früher mal den gegnerischen Spielern Prügel androhte und jetzt als Ordner fungiert; dem bewegungsgestörten Graubärtigen, der leicht verdreckte und aufgekrempelt Jeans trägt und in der rechten Hand immer eine längst abgewetzte dunkelblaue Plastiktüte hält, auf der ein Laden „Glasgeschenke zum Träumen“anpreist. Auch dem mit einer Kippe im Mundwinkel geborenen Koloß, der irgendetwas im Verein macht, sich aber trotz seiner Funktionärstätigkeit vor ein paar Monaten in Dassendorf nicht scheute, eine Art La Ola ohne Aufstehen zu exerzieren, seinen Holsten-Edel-Bauch dabei weit herauszustrecken und den etwas irritierten Dorfbewohnern zuzubrüllen: „Wir haben Stimmung und ihr nicht.“
Darüber hinaus dürfte der AFC der einzige deutsche Verbandsligist mit politisch rivalisierenden Fan-Gruppen sein. In der Gegengerade hält die Sportredaktion vom FSK die Stellung, in der „Meckerecke“neben der Sitztribüne hängt eine Handvoll Rechtsradikaler gern den schwarzrotgoldenen Lappen auf. Der Chefideologe der Rechten drohte den linken Rundfunkmachern im letzten Herbst: „Wenn die DVU die Wahl gewinnt, kommt ihr alle ins Lager.“Die Linken bezeichnen die Rechten dagegen mit beinahe zärtlichem Sarkasmus als „Modernisierungsverlierer“.
Der AFC als Kultclub – und in der nächsten Saison spielt beim AFC sogar ein veritabler Kultkicker: der renommierte Literaturwissenschaftler „Boller“Jeschke, einst angestellt beim FC St. Pauli.
Sonntag, 15 Uhr, Adolf-Jäger-Kampfbahn: AFC – Blau-Weiß 96
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