Vom Fußballplatz in die Oper

■ Olivier Tambosi über seine verspielte „Jenufa“-Inszenierung an der Staatsoper

Alle Welt betont den Namen auf der ersten Silbe: Já-nacek. Olivier Tambosi aber, in Paris geboren, in Wien und Klagenfurt in seinen Beruf hineingewachsen, sagt: Janá-cek. Und hat recht. Ob der junge Mann mit den wilden Locken und dem ledernen Outfit – er sieht eher nach Motorradclub aus denn nach Opernregie – mit seiner Sicht auf Leo Janáceks originelle Oper Jenufa, die am Sonntag als fünfte Premiere der neuen Mannschaft in der Staatsoper über die Bühne gehen wird, ebenso recht hat, wird sich zeigen.

taz hamburg: Was interessierte Sie an dem Stück?

Olivier Tambosi: Sicher weder das Politische, also manche quasifaschistoide Haltungen, noch das Folkloristische und Nationalmusikalische, und auch nicht so Sachen wie wer der Arme ist und wer der Reiche.

Was also?

Janáceks Seelenrealismus.

Ihre Begriffsschöpfung?

Ich nenne es so. Janácek war ja ein Mensch, der spazierenging und Passanten auf der Straße belauschte und studierte, weil er meinte, aus dem Tonfall und der Sprachmelodie weit mehr über deren Charakter und Befindlichkeit zu erfahren als aus dem, was sie sagten.

Vergleichbar Alban Bergs Praxis, beispielsweise im Wozzek?

Nicht mit dem analytischen Besteck wie Berg, sondern auf eine Weise, die zum Miterleben führen soll, im Idealfall zur Identifikation.

Durch die Musik?

Ja, und die ist im Fall Jenufa vor allem das Vokale, das Tschechische. Sowohl dem Sänger als auch dem Zuhörer ist das tiefe Erleben dieser Sprache – und damit der Musik – erst möglich, wenn die Klangfarben sehr deutlich werden.

Janácek hat seine Melodik geradezu entwickelt aus der Sprachmelodie des Tschechischen.

Nicht nur durch eine vorgegebene Sprachmelodie des Tschechischen, sondern durch ein akustisches Beobachten von Menschen. Sie haben das bis heute, beispielsweise in Managerschulungen: Der Tonfall, die Körpersprache wird denen als wichtiger hingestellt als der Inhalt dessen, was jemand sagt.

Sie sprechen Tschechisch?

Leider nicht, ein gewaltiger Nachteil, wenn man dieses Ding inszeniert. Das ging für mich in der Vorbereitung fast in den Bereich des Unseriösen. Natürlich kenne ich Wort für Wort, aber eben nicht bis in die Untertöne, da hilft die Musik sehr. (Fürs Publikum gibt es Einblendungen der Übersetzung.)

Was nimmt der Zuschauer mit nach Hause?

Fragen.

Wonach?

Nach der Schuld zum Beispiel, das ist Janáceks Thema. Wie wird ein Mensch schuldig? Kann man miteinander leben, ohne schuldig zu werden? Kann Schuld vergeben werden, kann man sie sühnen?

Wie entgehen Sie allzu platten Antworten?

Darüber läßt sich nicht gescheit reden. Das muß man erleben. Insofern kann man nur allen Menschen Mut machen zu diesem Stück, es ist eine tolle Musik, eine, auch wenn's keine äußere Action gibt, packende und tolle Handlung – ein spannendes Ding bis zum Schluß.

Also einmal weniger zum Fußball und in die Oper dafür?

Zum Beispiel. Aber es müßte schon ein Fußball-Sitzplatz sein. Für weniger gibt's keinen gescheiten Platz in der Oper.

Interview: Stefan Siegert