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Ms. Haijano und die Hähnchenpuppe

■ Sabine Heddinga präsentiert heute abend ein Kinderbuch der etwas anderen Art

Manchmal sind Großmütter ein Problem. Die klassische Ausgabe dieser menschlichen Existenzform knutscht gemeinhin bei jedem Besuch Enkelkinder ungefragt und permanent ab, presst zeitgleich ein „Boah, wat bist du groß geworden“an den dritten Zähnen vorbei und begräbt das geliebte Kind unter mehreren Tonnen Süßigkeiten und Fünfmarkstücken für's Sparschwein sowie Strickpul-lovern, die, kaum daß die Haustür hinter Oma wieder ins Schloß fällt, im Altkleidersack entsorgt werden. Solche alten Damen sind es, die in Buchhandlungen Kinderbücher primär danach aussuchen, ob auch ja die ach so heilsame pädagogische Keule aus jeder Buchseite gezielt auf das Enkelkind einschlägt. Pausbackige Jungen und Mädchen purzeln da über Gänseblümchenwiesen, schnauzbärtige Schutzmänner grinsen väterlich ein „Hallo“in die sichere Welt, und die putzige Belegschaft eines durchschnittlichen Großstadtzoos blickt mit großen Augen in EnkelInnengesichter.

Auch in Sabine Heddingas Buch „Geschwister Fiese-Miese“tummelt sich allerlei Getier. Ein abgeschnittener Muränenkopf trägt eine goldene Krone durchs große blaue Meer. Das Nashorn Luzifer-Lilafa blickt mit großen blauen Menschenaugen in die Welt. Reineke Fuchs fliegt mit Schmetterlingsflügeln über einäugigen delphinreitenden Zyklopen hinweg, während eine langbeinige Asiatin mit Hähnchenkörper mißmutig auf eine Skeletthand klopft. Zweifellos ist ein solches Buch nichts für knutschende Großmütter. Und konsequenterweise hat ein Verlag, der von ihrem Zuspruch lebt, die Veröffentlichung von Sabine Heddingas Buch abgelehnt, weil sie die Illustrationen nicht „kindgerecht“verputzigen wollte. KinderbuchverlagslektorInnen – was wissen die schon von Kindern.

Die nämlich sind begeistert, wenn sie von Sabine Heddinga eine der neun Geschichten aus ihrem Kinderbuchprojekt vorgelesen bekommen. Kurze schräge Geschichten von Opa Hoppzack, der von Baumstumpf zu Baumstumpf hüpft, oder Frau Schmetterlametter, die „casa masa lisie misisi mofo“im Duett mit ihrem Schmetterling singt, weil sie schon einmal in Spanien war. Und die Moral von der Geschicht' – eine Moral gibt es nicht! Zumindest keine, die Heddingas witzige Texte oder ihre bunt-verwegenen Collagen zwanghaft zu verbreiten suchen. Die Kinder, erzählt sie, interessiert statt dessen eher, ob man Frau Haijano, der haiköpfigen Sängerin, tatsächlich durch den Schlund bis auf ihr pochendes Herz sehen kann und wie die Hähnchenpuppe sich wohl anfühlt. In der Tat: Wichtige Fragen für Menschen, deren Phantasie nicht restlos in banaler Realität aufgegangen ist. Und vielleicht findet sich auch bald ein Verlag, der nicht nur von pädagogisierenden Großmamas abhängig ist. zott

Sabine Heddinga stellt ihr Projekt heute abend um 20 Uhr im Antiquariat Bahr & Kemper, Reeder-Bischoff-Straße 14, vor. Kinder sind ausdrücklich willkommen.

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