: Experimental-Techno mit Schmäh
■ Ölektronik klingt nicht als Wort recht merkwürdig – wie es klingt, kann man bei Mego und Sabotage erleben, in Berlin und live
Ölektronik – wer dieses Wort für eine Frucht der neuen orthographischen Freiheit hält, hat wieder mal einen ganz heißen Trend verpennt. Denn das komisch aussehende, aber nur ein bißchen daneben klingende Wort ist inzwischen zu einer Genrebezeichnung geworden – für eine Musik elektronischer Machart aus Österreich. Einige junge Männer haben in den letzten Jahren in Wien ganze Arbeit geleistet und durch diverse Labelgründungen und Plattenveröffentlichungen eine etwas andere Spielart von Techno etabliert, der ein gewisser Schmäh gegenüber dieser Bezeichnung nicht abzusprechen ist. Jetzt sind die wichtigsten Vertreter zu Gast in Berlin.
Mego (vor ca. 5 Jahren gegründet) ist kein normales Techno-Label, sondern eine Plattform für experimentelle elektronische Musik. Die Label-Macher sehen dementsprechend Techno auch in einem erweiterten Sinn: Obwohl die Musik selten clubkompatibel ist, bleibt ihre musikalische Arbeitsweise und die Art und Weise des Plattenvertriebs nah an den Gepflogenheiten der großen Genre-Mutter. Ihre Eigenständigkeit haben sie aber durch die Mißachtung der technotypischen musikalischen Muster erlangt. Wenn bei ihnen ein Rhythmus mal durchläuft, dann scheint man eher durch Zufall drauf gekommen zu sein. Dieses Moment der Improvisation macht z.B. den heute auf der Insel vertretenen Auftritt des Duos Farmer's Manual auch zu einer außergewöhnlichen Live-Erfahrung. Denn vorgefertigte DATs bilden nur einen kleinen Teil des auf der Bühne sich entfaltenden Sounds. Die Eigenmächtigkeit der benutzten Apparate und der von ihnen generierten Klänge ist wichtiger als die (ebenfalls immer möglichen) auf der Tanzfläche zündenden Effekte. So nimmt es nicht wunder, daß z.B. Pita (Engländer und von Anfang an bei Mego dabei) gerngesehener Gast bei europaweiten Free-Jazz-Festivals ist.
Nicht ganz so avantgardistisch geht es am Gründonnerstag am gleichen Ort zu. Das für akustische Störaktionen während der documenta 1992 von Robert Jelinek gegründete Label Sabotage ist inzwischen zu einem international gerühmten Umschlagplatz für dancefloor-periphere Elektronik geworden. Doch gegenüber Mego steht bei den Wiener Nachbarn der sequentielle Rhythmus im Vordergrund. Alois Huber ist berüchtigt für seine stoisch und den Groove ignorierenden Techno-Tracks, die sich seltsam fremd in der Musiklandschaft ausmachen. Pomassls Spezialität sind Loops, die ihrer Aneinanderreihung widerstreben, was seltsame Rhythmusverschiebungen zur Folge hat. Beim Live- Auftritt wird diese Irritation wahrscheinlich noch verstärkt. Ob Patrick Pulsinger – prominenter Sabotage-Freund und am Donnerstag an den Plattentellern zugange – das wieder auf die Reihe kriegt? Martin Pesch
„Mego-Nacht“ (live: Pita, Farmer's Manual, Fuckhead u.a./DJs: Miss Berlin, Massaka u.a.), 4.4., Die Insel, Berlin
„Sabotage-Nacht“ (live: Alois Huber, Pomassl/DJs: Patrick Pulsinger u.a.), 9.4., Die Insel, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen