Zurück in die Fifties?

■ In den fünfziger Jahren wurde Leistung nicht propagiert, sondern erbracht – in einem Maße, daß vor ersten Managerkrankheiten gewarnt werden mußte. Heute scheint es umgekehrt

Ein Blick in den Entwurf des neuen Hochschulrahmengesetzes ist – obschon mühsam – nicht ohne Überraschungseffekt. Irgendwo versteckt in der Bleiwüste aus Paragraphen, Absätzen, Ausführungserläuterungen findet sich ein vielsagender Passus: „Zum Nachweis von Studien- und Prüfungsleistungen“, heißt es da, „soll ein Leistungspunktesystem geschaffen werden, das auch die Übertragung erbrachter Leistungen auf andere Studiengänge derselben oder einer anderen Hochschule ermöglicht.“

Irgendwie klingt das alles bekannt, vertraut, so à la Fünfziger. „Leiste was, biste was“ könnte das Motto heißen. Also in die Hände gespuckt, Bachelors in spe, die Ärmel aufgekrempelt, Magisteranwärter und Doktoranden: Durch Leistung seid ihr irgendwann mal wer – und ohne Leistung fliegt ihr eben raus. Um die Zeit bis zu den akademischen Ehren etwas netter zu gestalten, fehlen nur noch Seminare am Nierentisch und Petticoats auf dem Campus; Motorroller fahren manche StudentInnen ja schon.

Doch der Sprung zurück um ein halbes Jahrhundert, diese in christlich-liberalen Kreisen so beliebte Methode der Zukunftsbewältigung, könnte zur Bauchlandung werden. Denn der Gedanke vom Anpacken, Zufassen, Aufbauen, einst von Franz Josef Degenhardt sarkastisch besungen, brauchte dazumal nicht in die Köpfe gesetzt zu werden – er war schon drin. Leistung wurde in den fünfzigern Jahren nicht propagiert, sondern erbracht – und zwar in einem solchen Maße, daß vor ersten Managerkrankheiten gewarnt werden mußte.

Die Elite schuftete sich zu Tode, das Volk war bienenfleißig – Freizeit hieß daher die kommende Maxime, denn die Wirtschaft bot in wachsendem Maße einschlägige Produkte an, die in den Stunden nach der Pflichterfüllung benutzt und konsumiert werden sollten.

Von Freizeit und Belohnung steht nichts drin im neuen Hochschulrahmengesetz. Aber ließ Daimler-Benz nicht schon vor Jahren eine sonore Stimme in einem TV-Spot verkünden, früher sei ein Mercedes die Karrierebelohnung gewesen, heute aber sei er ein Karrierebegleiter? Die Schwaben wissen längst, wie es vorwärts geht. Und so sollte vielleicht das neue Hochschulrahmengesetz draußen einen Stern tragen. Mit dem Roller zur Vorlesung? Quatsch: mit der neuen A-Klasse! Solche Studienbegleiter auf dem Weg zur Karriere erhalten Arbeitsplätze, sichern den Gewinn, und die Dinger soll man ja bei Parkplatzmangel auch hochkant am Laternenpfahl abstellen können. Nach dem Examen kann man dann bequem auf Jobsuche fahren und schauen, ob sich Leistung auch ohne Arbeitsplätze in Zukunftsperspektiven umsetzen läßt.

Doch halt: Ehe die Universitäten endlich leerer werden, weil die StudentInnen mit ihren besternten Blechkisten – die Leistungspunkte im Kofferraum – von Hochschule zu Hochschule fahren, um deren Übertragbarkeit zu testen, sei noch ein Blick zurück gewagt. Im Jahr 1950 nämlich bedurfte es einer umfangreichen Werbeaktion, um die Qualität der Arbeitsleistung zu sichern (siehe Plakat). Dieser Gedanke scheint in Bonn wie Stuttgart längst vergessen zu sein. Überfüllte, unterfinanzierte Universitäten stehen da computergetesteten Autos, die nie auf dem Asphalt einen Haken schlagen mußten, kaum nach. Also hat Michail „Mercedes“ Gorbatschow mit seinem „Wer nicht aus der Geschichte lernt, kippt um“ wohl doch recht.

Wenn schon kurz vor der Jahrtausendwende die Maximen einer antiquierten Diskussion herausgekramt werden, sollte auch ein futuristischer Gedanke der Fünfziger dabei sein: die Diskussion um die human relations, um das menschliche Miteinander beim Run auf die Zukunft. Doch hierzu schweigt das Hochschulrahmengesetz und favorisiert – wen wundert's – lieber den Ellenbogen statt die Solidarität.

Kai Dohnke

Der Autor ist Historiker und

Journalist in Hamburg