■ Madrid, 1.4.98. Ein Tor bricht zusammen. Protokoll einer Tragödie
: Mit Hammer und Stöckchen

Ein Schwenk, ein Rund. Unerhörte Stille, 21 Uhr, eine Viertelstunde nach planmäßigem Spielbeginn. In knappem, aber sattem Grase liegt er majestätisch unbeeindruckt, der Hammer, der helfende, „Du Instrument/ des Aufbaus/ und des Abbaus“ (F. W. Bernstein), der hammer, du häßlich und auch hoffnungsspendend formunschön stählern Ding, du rabiater und ruhender Knecht der Verantwortlichennatur. Schlaff und stumm hängt das Netz, Kanthölzer versprechen Rettung als Notstandbeine, matt das Netz gesunken zu etwas abendfeuchtem Boden, reifbestreutem Rasen. „Das sah wie eine relativ saubere Schnittstelle aus, könnte es theoretisch auch Sabotage gewesen sein?“ fragt im Uefa-himmelblauen Studio Herr Jauch den Dortmundborussen und gelernten Kupferschmied Toni „Schumacher“. – „Nein, ich glaube nicht Sabotage.“

3 Blaue und 1 Grauer knapsen am noch immer schamvoll trauertragend laschen Netz herum, das Tor, es steht, provisorisch bloß. „Da herrscht schon jede Menge Hektik und Nervosität in den Katakomben, man spürt das körperlich“, überträgt Potofski live „in Color“ (Reif), Teddy de Beer beruhigt die etwas nachdrücklicher aufgewühlte Stimmung: „Wir wollen uns mal auf die Spanier verlassen, daß die hier in der Lage sind, 'nen Tor zu reparieren und da vielleicht 'nen Nagel reinzuhauen.“

Das Tor klappt abermals und nun scheint's endgültig und entkräftet zusammen, sinkt, platt liegt es da, 3 Blaue und 1 Olivgrauer zurren etwas oder tippen, 6 Schwarze stehen, gut im Raum verteilt, sinnend, praktisch grübelnd herum.

„Also, schweißen wär' jetzt groß angesagt“, rät der alte Kupferschmied. Eine Spachtel sehen wir, verzagtes Picken, eine Gummizange, man klopft ein wenig. Schutzlos nacktes Gestänge, gebrochen, tragen 5 Männer plötzlich weg. Wir müssen beinah' weinen schon. Dunkel klafft das Pfostenloch, das Netz verweilt, allein.

21.18 Uhr, „das große Buch der Fußballgeschichte muß um ein neues Kapitel erweitert werden“, (Jauch), der Hammer, jetzt von links und eher leicht von oben schräg das Bilde füllend, schläft. „Also, reinhauen wird nicht gehen.“ (Reif) Was dann? „Jetzt fummeln die“, sagt Reif, „an dem Netz herum, das ist so wie Fischer“, „genau“, jauchzt Jauch, „spanische Fischer.“ „Ja.“ (Reif) Das neue Tor kommt nicht.

Es lacht die deutsche Runde kugelrund und herzlich frisch, sie haben solche Schwierigkeiten nicht. Wieder fällt da replaymäßig elendlich das Tor von rechts, knickt ein, zieht linke Seite zügig nach und patscht ganz unsympathisch hin. „Das ist wirklich wie ein Dorfverein.“ (Jauch) Es ist zu Madrid aber vieles stark „marode und verrottet“ (Schumacher), kein Leben mehr jetzt auf dem bläßlich grünen Felde, weit dehnet sich die fahle Fläche unbespielt, das Netz ruht still. Milchig schwimmt diffuses Licht. „Achtung, er nimmt den Hammer weg! Aus!“ ruft Reif.

Nun gehe man ein neues holen, ein Standtor wohl, und lasse das alte in den Katakomben liegen. „Achtung, die Blauen sind wieder da!“ paukt Reif, er sieht am besten, von oben laut hinab, das Netz, man knöddelt es zusammen, schleppet es hinfort. „Holzbeine sollten das werden“, deutet Reif die Szene, „aber das war dann nix.“

„Ich habe gerade gesehen“, schaltet Potofski flink sich dazwischen, „daß man gerade ein Tor zusammenhaut, aber niemand darf fotografieren, ein geheimes Tor“, und nun wird es ja schon hereingetragen, es hakt a bisserl im Sicherheitszaun, das Standtor, 18 tapfere Mannen hängen dran und ziehn und zerren für die Wende der Ereignisse. Hölzer, Heringe. Und Haken auch.

Der Schiri zweifelt erst, hebt dann den Daumen doch, sagt ja zum „Trainingstor“, ein Hilfs-, ein Nottor aus den Katakomben, das Rettungstor. „Da ist wieder unser Mann mit dem Hämmerchen, unser Berufsfischer“, quiekt Reif, die Spanaken aber und die blöden Funktionäre schaffen nun frisch erstrahlend festen Blicks am Netz und spannen es, das Netz, das müde, noch wird geflickt, damit es ein Gesicht auch hat, „wie die messen!“ jammelt Jauch, „mein lieber Schwan, Bezirksliga!“ prustet Reif, es geht ihm einer ab: „Ooohhh Gott!“

Die Sache wird ein „Nachspiel“ haben. Jürgen Roth